Dolmetscher für Medizinsysteme

Patientenfragebögen, Anamnesen, Laborberichte, IT-Daten – eine Vielzahl verschiedener Quellen produziert in Kliniken und Arztpraxen täglich riesige Datenmengen. Diese Daten bergen enormes Potenzial, doch sie bleiben bisher weitgehend ungenutzt. Sie verschwinden meist nach einmaliger Nutzung in diversen analogen und digitalen Archiven. Das Projekt AIQNET, das im Rahmen des KI-Innovationswettbewerbs vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert wird, strebt an, das zu ändern: Daten sollen durch Cloud-Technologien einem digitalen Ökosystem zugänglich gemacht und durch KI-Anwendungen datenschutzkonform ausgewertet werden. Daten, die bislang unstrukturiert und nicht interoperabel sind, können auf diese Weise miteinander kombiniert werden.

Die potenziellen Anwendungsgebiete sind vielfältig: So könnten die von AIQNET erhobenen Informationen etwa Ärztinnen und Ärzten helfen, individuelle Behandlungsmethoden zu finden. Auch zu Studienzwecken könnten die Daten herangezogen werden, etwa um Medizintechnik- und Pharmaunternehmen dabei zu unterstützen, langwierige und kostenintensive Entwicklungsprozesse zu beschleunigen und Medikamente schneller auf den Markt zu bringen. Zudem kann das medizinische Personal spürbar entlastet werden: Wo aktuell noch viel Zeit mit händischer Dokumentation verbracht wird, soll in Zukunft die automatisierte Datenaufnahme über KI-gestützte Auswertungsmethoden ermöglicht werden.

HL7 – Health Level 7 – heißt der etablierte IT-Datenstandard im Gesundheitswesen. Auf 2,6% hat die Bundesregierung ihre Wachstumsprognose für 2021 nach unten korrigiert.

Daten in einheitliche Standards übersetzen

Von zentraler Bedeutung des Projekts ist das Universal Medical Gateway (UMG). Das UMG--Universal Medical Gateway ist für die Datenübertragung und die Übersetzung der Daten zuständig und dient als Schnittstelle zwischen den verschiedenen medizinischen Geräten und dem AIQNET-Ökosystem. Durch das UMG--Universal Medical Gateway wird die Interoperabilität der Daten ermöglicht, denn die Technologie behebt eine vor allem in der Medizintechnik bestehende Hürde: Medizinische Geräte unterschiedlicher Hersteller sprechen meist individuelle Sprachen, weshalb dabei entstehende Daten nicht ohne weiteres automatisiert ausgewertet werden können. Das UMG--Universal Medical Gateway übersetzt diese unterschiedlichen Sprachen in den einheitlichen Standard namens Health Level 7 (HL7). Dabei handelt es sich um einen etablierten internationalen Datenstandard für den Austausch zwischen Organisationen im Gesundheitswesen sowie deren ITSystemen. „Wir übersetzen, damit die anderen sich verstehen können“, bringt Bastian Mazzoli vom Konsortialpartner TZM-Solution die Funktion des Universal Medical Gateway auf den Punkt.

Schon jetzt unterstützt die UMG--Universal Medical Gateway-Technologie Pflegekräfte im Klinikalltag und vereinfacht etwa effektiv die Abrechnung bei der Nutzung medizinischer Geräte. „Früher haben die Krankenpflegerin oder der Krankenpfleger die Daten händisch beispielsweise vom Beatmungsgerät abgeschrieben. Die Uhrzeiten wurden dabei oft nur geschätzt“, erklärt Mazzoli. „Letztendlich gehen so Beatmungsstunden des Geräts verloren, die nicht über die Krankenkassen abgerechnet werden können.“ Auch Übertragungsfehler, die etwa bei der Kommunikation zwischen dem Personal oder beim Notieren auf Zetteln entstehen, werden durch die Technologie minimiert. Stattdessen werden die Daten durch das Universal Medical Gateway automatisch ins System übertragen. Dadurch kann exakt belegt werden, wann und wie lange ein bestimmtes Gerät benutzt wurde.

In Kürze Wichtige Schnittstelle zwischen Medizingeräten und AIQNET ist das Universal Medical Gateway.

Auch das Krankenhauspersonal wird bedeutend entlastet, denn UMG--Universal Medical Gateway ermöglicht eine effiziente Steuerung von medizinischen Geräten aus der Ferne, etwa über Mobilgeräte oder eine zentrale Bedienkonsole. Zurzeit seien Alarmsignale oftmals nur an den Geräten selbst ablesbar. Das Personal müsse also an das entsprechende Bett laufen, den Alarm prüfen und vor Ort ausschalten. „Bei vielen Geräten ist der Bedienungsaufwand enorm. Die Fernbedienung von Geräten kann das Personal entlasten und schafft Freiraum zur Steigerung der Behandlungsqualität“, fasst Mazzoli zusammen.

Vom Computermonitor bis zur Infusionspumpe: Das umgsorgt für eine gute Vernetzung.

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Vom Computermonitor bis zur Infusionspumpe: Das UMG sorgt für eine gute Vernetzung.

Eine entsprechende Vernetzung der Geräte ist dank der hohen Flexibilität des UMG--Universal Medical Gateway herstellerübergreifend und über alle Geräte hinweg möglich, vom Computermonitor bis hin zur Infusionspumpe.

Viel Potenzial für Operationssäle

Im Rahmen der Projektarbeit zu AIQNET wird das Universal Medical Gateway im Berliner Simulationsund Trainingszentrum beim Konsortialpartner Charité zum Einsatz kommen, wo die Erprobung neuer Technologien und Behandlungsmethoden unter realen Klinikbedingungen ermöglicht wird. Hier wurde auch das Konzept des „Walking-ICU“ getestet, bei dem sich Intensivpatienten dank technischer Unterstützung bewegen und das Bett verlassen können. Technische Vorrichtungen müssen sich dafür dynamisch der Situation anpassen können und einander verstehen. Die Übersetzerfunktion des UMG--Universal Medical Gateway in Kombination mit dem AIQNET Datenökosystem schafft die Voraussetzungen, um diese Herausforderung zu bewältigen. Ein ähnlich komplexer Grad der Vernetzung soll zukünftig auch in weiteren sensiblen Klinikbereichen wie etwa Operationssälen ermöglicht werden.

Projekte wie der Walking-ICU belegen, dass die Zusammenarbeit im AIQNET-Konsortium die Digitalisierung und die Datenstandardisierung im Gesundheitswesen entscheidend voranbringt. Prof. Dr. Rainer Würslin, Senior Advisor der TZM GmbH, erhofft sich von der Kollaboration vor allem auch, neue Möglichkeiten zum Einsatz der Technologie identifizieren zu können: „Ich denke, es ist wichtig, dass mehrere Kliniken miteinander versuchen, Wege aufzuzeigen, wie Digitalisierung und eine gute Zusammenarbeit funktionieren können. Durch das digitale Ökosystem AIQNET erhalten wir Zugang zu Kliniken und einem Netzwerk an wichtigen Stakeholdern. Zudem lernen wir Use Cases kennen und erfahren so, wo es Bedarf an Digitalisierung gibt und wo wir helfen können.“ Denn die Potenziale der Digitalisierung für das Gesundheitswesen sind noch lange nicht ausgeschöpft .

Mehr zum Thema

www.aiqnet.eu


Informationen zu diesem und weiteren vom BMWK im Rahmen des KI-Innovationswettbewerbs geförderten Projekten:
www.digitale-technologien.de


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