Abstrakte Darstellung eines Potraits

Peter Altmaier: Bundesminister für Wirtschaft und Energie

© BPA/Steffen Kugler

Sechs Monate als Vorsitzender im Rat der Europäischen Union liegen hinter Ihnen. Wie ist Ihr Fazit?

Deutschland hat in einer sehr schwierigen Zeit als EU-Ratspräsidentschaft Verantwortung übernommen. „Gemeinsam. Europa wieder stark machen.“ – so unser Motto und unser Anspruch. Ich bin stolz darauf, dass wir in den vergangenen sechs Monaten die Weichen dafür gestellt haben, dass die europäische Wirtschaft sich nicht nur von der Krise erholt, sondern gestärkt aus ihr hervorgehen wird.

Als Vorsitz im Rat der EU haben wir alles daran gesetzt, den Zusammenhalt der EU-Mitgliedstaaten zu stärken und gemeinsame, koordinierte Lösungen zu finden, um die historischen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen zu meistern. Besonders mit der Einigung auf den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen und das Europäische Aufbauinstrument sowie die weitestgehende politische Einigung über das Legislativpaket der EU-Strukturfonds für die nächste Förderperiode ist es uns gelungen, auch in schwierigen Zeiten die richtigen Impulse zu setzen, um die europäische Wirtschaft wettbewerbsfähig, innovativ und widerstandsfähig aufzustellen.

Was hat die deutsche EU-Ratspräsidentschaft wirtschaftspolitisch bewirkt?

In der Krise haben wir gesehen, wie wichtig ein funktionierender europäischer Binnenmarkt für unsere Wirtschaft ist. Es ist ein großer Erfolg, dass wir in der zweiten Welle der Pandemie im Herbst erneute einschneidende Beschränkungen an unseren Grenzen vermieden haben. Zudem haben die EU-Mitgliedstaaten ihre Entschlossenheit bekräftigt, den Binnenmarkt krisenfest zu machen, ihn auf die Zukunft auszurichten und so die wirtschaftliche Basis der EU zu stärken. Dazu wird auch das Binnenmarktprogramm beitragen. Die Verhandlungen hierüber wurden unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft erfolgreich abgeschlossen.

Daneben spielt die europäische Industrie mit ihrer Qualität, Breite und Schnelligkeit eine wesentliche Rolle bei der Erholung aus der Krise. Wir haben daher während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft den digitalen sowie ökologischen Transformationsprozess der europäischen Industrie sowie die Stärkung der digitalen Souveränität der EU aktiv vorangetrieben und dabei den Belangen auch der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) Rechnung getragen. Wir haben zum Beispiel die Verhandlungen über das neue Programm „Digitales Europa“ abgeschlossen, mit dem die digitalen Kapazitäten und Fähigkeiten in zentralen Bereichen und insbesondere von KMU gestärkt werden sollen. Zudem haben wir einen Beschluss der EU-Mitgliedstaaten über die Gründung einer Europäischen Cloud Föderation herbeigeführt, mit der u. a. Investitionen in vertrauenswürdige, sichere und energieeffiziente Cloud- und Datenverarbeitungstechnologien vorangetrieben werden sollen. Damit werden wir auch wichtige Synergien mit dem europäischen Cloud-Projekt GAIA-X erschließen können.

Wir haben außerdem unterstrichen, dass die europäische Industrie- und die KMU-Strategie zügig umgesetzt werden müssen, um optimale Rahmenbedingungen zu schaffen. Dies umfasst die Verhinderung von Bürokratie gerade für KMU, die Schaffung von Raum für Innovationen durch Reallabore und Experimentierklauseln genauso wie die Modernisierung des europäischen Wettbewerbsrechts und ein an effizientem Einkauf ausgerichtetes Vergaberecht.

Ich fühle mich dem Ziel verpflichtet, die Klimaneutralität der Wirtschaft bis 2050 zu erreichen. Klimapolitik und Industriepolitik sind für mich keine Widersprüche, sondern gehen Hand in Hand. Es ist daher ein bedeutender Erfolg, dass wir während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft den Aufbau eines europäischen Marktes für Wasserstoff vorantreiben konnten. Wasserstoff spielt als Energieträger und als Grundstoff für die Industrie eine zentrale Rolle für die Klimaneutralität, beispielsweise bei der Erzeugung „grünen Stahls". Zudem haben wir die Grundlage dafür gelegt, den Stromsektor durch mehr grenzüberschreitende Kooperationen insbesondere im Bereich der Offshore-Windenergie weiter zu dekarbonisieren und die Technologieführerschaft Europas auszubauen.

Handelspolitisch werte ich es als großen Erfolg, dass die Europäische Union in der Krise und trotz eines schwierigen geopolitischen Umfelds ihre Geschlossenheit, etwa bei der Frage der Nachbesetzung des Postens des WTO-Generaldirektors, gewahrt hat und weiterhin ihre starke Stimme für offene Märkte und einen regelbasierten Handel erhebt. Wir haben zudem mit der Änderung der Durchsetzungsverordnung die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Europäische Union sich effektiv gegen rechtswidrige Handelsmaßnahmen von Drittstaaten wehren kann.

Wie konnten Sie die Funktionsfähigkeit der Europäischen Union sicherstellen, trotz pandemiebedingter Einschränkungen?

Die Corona-Pandemie hat auch den Arbeitsalltag in der Europäischen Union grundlegend verändert. Die etablierten Arbeitsweisen mussten wir immer wieder flexibel an das dynamische Pandemiegeschehen, an Reisebeschränkungen, Abstandsregelungen und Quarantäne-Auflagen anpassen. Trotz der veränderten Umstände hat die deutsche EU-Ratspräsidentschaft eine klare Struktur in die Arbeitsweise des Rates der EU gebracht und damit dem Wunsch vieler EU-Mitgliedstaaten entsprochen. So ist es gelungen, die EU in dieser schwierigen Zeit handlungsfähig zu halten und gemeinsam mit unseren europäischen Partnern wegweisende Entscheidungen zu treffen, um schnellstmöglich diese tiefgreifende Krise zu überwinden.

Aber auch wenn sich in virtuellen Formaten viele wichtige Fragen diskutieren und voranbringen lassen, hätte ich als Ratsvorsitzender meine Kolleginnen und Kollegen aus den anderen EU-Mitgliedstaaten, die Mitglieder der Europäischen Kommission und die Abgeordneten des Europäischen Parlaments doch lieber persönlich in Brüssel und Straßburg getroffen und sie nach Deutschland eingeladen. Dass das Pandemiegeschehen am Ende kaum Zusammentreffen von Angesicht zu Angesicht zugelassen hat, bedauere ich sehr. Aber es werden bald auch wieder andere Zeiten kommen, in denen wir dann den persönlichen Austausch noch mehr zu schätzen und zu nutzen wissen werden.

Wie geht es jetzt weiter?

Ein halbes Jahr EU-Ratspräsidentschaft ist eine kurze Zeit. Gerade eine Krise von solch historischem Ausmaß wie die Corona-Pandemie kann nicht innerhalb weniger Monate über-wunden werden. Auch im kommenden Jahr bedarf es großer gemeinsamer Anstrengungen, um die europäische Wirtschaft langfristig und zukunftsfest wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Ich sehe in den kommenden Monaten mit hohen Erwartungen der im Lichte der Corona-Pandemie überarbeiteten EU-Industrie-Strategie und den Legislativvorschlägen der Europäischen Kommission zur Modernisierung des EU-Wettbewerbsrechts und zur Gewährleistung fairer Wettbewerbsbedingungen bei Subventionen aus Drittstaaten entgegen, an denen wir intensiv arbeiten werden. Auch der Abbau von ungerechtfertigten Hindernissen
im EU-Binnenmarkt wird uns weiter beschäftigen.

In der Handelspolitik werden wir uns weiter für weltweit offene Märkte, regelbasierten Handel und eine starke Welthandelsorganisation einsetzen. Mit der neuen US-amerikanischen Administration wollen wir die transatlantischen Beziehungen stärken. Die wirtschaftlichen Beziehungen mit China müssen wir auf eine verlässliche Grundlage stellen und das ambitionierte Investitionsabkommen
zum Abschluss bringen.

Im Bereich der Digitalpolitik stehen 2021 weitere Diskussionen zu vielen wichtigen Themen an, u. a. zu Künstlicher Intelligenz, digitalen Diensten und einem künftigen europäischen Rechtsrahmen für Daten.

Die Beschlüsse des Europäischen Rates vom 10./11. Dezember 2020 zur Anpassung des EU-2030-Klimaziels sind wegweisend für das Ziel der Klimaneutralität bis 2050. Wichtig sind nun die für Mitte nächsten Jahres angekündigten Legislativvorschläge der EU-Kommission zur entsprechenden Überarbeitung des energie- und klimapolitischen Rechtsrahmens."

Ich bin davon überzeugt, dass unsere Triopartner Portugal und Slowenien diese wichtigen Themen während ihren EU-Ratspräsidentschaften 2021 engagiert und ambitioniert vorantreiben werden. Ich werde sie dabei mit voller Kraft unterstützen.