Wirtschaftspolitische Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft

Illustration zum Thema "Die Weichen für eine zukunftsfähige EU sind gestellt"

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Kernanliegen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft war es, die wirtschaftliche Erholung von der Corona-Krise voranzutreiben und zugleich die Widerstandsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu erhöhen. Dazu gehört es, ihre Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft zu stärken, Märkte offen zu halten und Protektionismus entgegenzutreten, die Umstellung auf sauberes Wachstum voranzutreiben sowie die digitale und technologische Souveränität der Europäischen Union (EU) zu stärken. Ein besonderes Augenmerk lag auf der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der vielen kleinen und mittleren sowie familiengeführten Unternehmen und der europäischen Industrie.

Ein bedeutender Meilenstein war die Einigung des Rats der EU und des Europäischen Parlaments auf den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen für die Jahre 2021–2027 sowie auf das temporäre Europäische Aufbauinstrument. Dies schafft die finanziellen Voraussetzungen nicht nur für die notwendigen Reformen zur Bewältigung der aktuellen Krise. Die Einigung legt auch den Grundstein für einen erfolgreichen digitalen und ökologischen Strukturwandel und damit für Wachstum, Wohlstand sowie Beschäftigung in der Zukunft.

Der Ausbruch der globalen Corona-Pandemie hat die EU und ihre Mitgliedstaaten im Jahr 2020 vor eine historische Herausforderung gestellt. Die Pandemie hat neben großen persönlichen und sozialen Belastungen auch zum stärksten Wirtschaftseinbruch in der Geschichte der EU geführt. Diese historische Krise bedarf einer entschlossenen europäischen Antwort und Kraftanstrengung. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 war deshalb stets an dem Ziel ausgerichtet, den Zusammenhalt und die Solidarität der EU-Mitgliedstaaten untereinander und damit die EU als Ganzes zu stärken. Aufbauend auf den Erfolgen der kroatischen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2020, ist es in enger Kooperation mit den Triopartnern Portugal und Slowenien, den weiteren EU-Mitgliedstaaten sowie den europäischen Institutionen gelungen, die Schlussfolgerungen aus der Krise zu ziehen und die richtigen Weichen zu stellen für eine auch künftig wettbewerbsfähige, wirtschaftlich robuste und innovative EU.

Den Wirtschaftsstandort Europa zu neuer Stärke führen

Wirtschaftspolitisch geht von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ein Signal des Aufbruchs aus. Es ist gelungen, der Modernisierung der europäischen Volkswirtschaften einen Schub zu verleihen, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft auch langfristig zu sichern. In intensiven Beratungen hat der Rat der EU insbesondere mit Blick auf digitale und ökologische Transformation Impulse gesetzt.

Ein funktionierender und zukunftsfähiger Binnenmarkt ist essenziell, um die wirtschaftliche Basis der EU zu stärken. Die Staats- und Regierungschefs haben unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft Ratsschlussfolgerungen des Wettbewerbsfähigkeitsrates gewürdigt, die dazu beitragen, die Durchsetzung der Binnenmarktvorschriften zu verbessern, unnötige Hindernisse abzubauen und die Krisenfestigkeit des Binnenmarkts zu erhöhen. Die Mitgliedstaaten fordern darin die Europäische Kommission auf, einen strategischen Bericht über Fortschritte sowie zur Notwendigkeit weiterer regulatorischer und nicht-regulatorischer Maßnahmen vorzulegen. Darüber hinaus identifizieren die Schlussfolgerungen zentrale Handlungsfelder für einen zukunftsfähigen Binnenmarkt: die grüne und digitale Transformation, einen Binnenmarkt für kleine und mittlere Unternehmen, freien und fairen Wettbewerb sowie Strukturreformen in den Mitgliedstaaten zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit.

Ein weiterer Meilenstein zur Stärkung des Binnenmarkts war der erfolgreiche Abschluss der Verhandlungen zum Binnenmarktprogramm. Dieses ist für die kommenden sieben Jahre insgesamt mit rund 4,2 Mrd. Euro ausgestattet. Damit sollen nicht nur die Verbraucherrechte gestärkt, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit insbesondere der mittelständischen Unternehmen erhöht werden. Dazu wird das „Programm für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und für kleine und mittlere Unternehmen – COSME“ in verbesserter Form fortgeführt. Auch sollen Instrumente wie die Problemlösungsstelle SOLVIT, eine effektive Marktüberwachung sowie einheitliche technische Standards für den Binnenmarkt weiterhin unterstützt werden.

Der europäischen Industrie kommt eine zentrale Rolle bei der wirtschaftlichen Erholung und bei der Verbesserung der Widerstandsfähigkeit der EU zu. Im Mittelpunkt der industriepolitischen Beratungen unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft stand unter anderem die Frage, wie das Innovationsklima verbessert werden kann und welche Technologien hierbei eine Vorreiterrolle übernehmen könnten. Die verabschiedeten Ratsschlussfolgerungen zur Industriepolitik geben der EU-Kommission hierzu einen klaren Handlungsauftrag: Die Wirtschaftskraft der europäischen Industrie ist zu stärken, damit der grüne und digitale Wandel und die Entwicklung hin zu mehr Resilienz zügiger geschieht.

Die Industrie-Ratsschlussfolgerungen unterstreichen zugleich die Bedeutung pan-europäischer Kooperationen in innovativen Schlüsseltechnologien, die weiter ausgebaut werden sollen. Dabei konnten unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft signifikante Fortschritte erzielt werden, u. a. bei den „Industriellen Allianzen“ sowie bei den sogenannten „Wichtigen Projekten von gemeinsamem europäischem Interesse“ (IPCEI), insbesondere in den Bereichen Batteriezellen und Wasserstofftechnologien. Das IPCEI Mikroelektronik und Kommunikationstechnologien wird die hardwaretechnische Basis in Europa deutlich verbreitern.

In der Mittelstandspolitik stand neben Maßnahmen zur unmittelbaren Bewältigung der Krisenfolgen insbesondere die Steigerung der Widerstandsfähigkeit und Wirtschaftskraft der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) im Zentrum. Die Beratungen konzentrierten sich darauf, wie die KMU-Politik kohärenter und wirksamer mit anderen Politiken wie der Industrie-, der Digital- oder der Innovationspolitik verzahnt und mit anderen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Bereichen effektiver verknüpft werden kann.

In Kürze
Die pan-europäische Kooperation in innovativen Schlüsseltechnologien soll weiter ausgebaut werden.

Eine erfolgreiche Krisenbewältigung und Transformation bedarf auch innovationsfreundlicher Rahmenbedingungen, insbesondere für Industrie und Mittelstand. Deutschland hat sich deshalb im Bereich der „Besseren Rechtsetzung“ für eine konsequente Implementierung der „One-in-one-out“-Regel auch auf europäischer Ebene sowie für die Stärkung des sogenannten KMU-Tests eingesetzt. In seinen Schlussfolgerungen ruft der Wettbewerbsfähigkeitsrat die Europäische Kommission auf, Experimentierklauseln im EU-Recht stärker einzusetzen und Freiräume zu schaffen, um neue Technologien, wie Künstliche Intelligenz oder Blockchain, im Reallabor zu erproben.

Der Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe hat eine große gesamtwirtschaftliche Bedeutung und kann damit erheblich zum schnellen Wiedererstarken einer nachhaltigen und resilienten europäischen Wirtschaft beitragen. Auch hierzu wurden Ratsschlussfolgerungen verabschiedet und der notwendige Diskussionsprozess auf europäischer Ebene angestoßen, um die öffentliche Beschaffung effizienter zu gestalten und so besonders auch in Krisensituationen schnell und angemessen reagieren zu können.

Bei der wirtschaftlichen Krisenbewältigung spielt die Anpassung des Beihilferahmens eine zentrale Rolle. Die Europäische Kommission hat angesichts der Corona-Pandemie einen befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen („Temporary Framework“) zur Lockerung der beihilferechtlichen Vorgaben beschlossen. Dieser wurde unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft intensiv mit den europäischen Partnern beraten. Die Europäische Kommission hat ihn bis zum 30. Juni 2021 verlängert und erweitert, um den anstehenden Herausforderungen gerecht zu werden.

Die Beratungen zur Modernisierung des Wettbewerbsrechts konzentrierten sich insbesondere auf das Weißbuch der EU-Kommission zur Gewährleistung eines Level Playing Fields zwischen europäischen Unternehmen und staatlich subventionierten oder kontrollierten Unternehmen aus Drittstaaten im EU-Binnenmarkt. Ein weiterer Fokus lag auf dem Ordnungsrahmen für die Digitalwirtschaft sowie der Frage, wie die Marktmacht großer digitaler Plattformunternehmen begrenzt werden kann. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft eröffnete die Diskussion im Vorfeld entsprechender EU-Rechtsetzungsvorschläge.

Intensive Beratungen hat die deutsche EU-Ratspräsidentschaft dazu angestoßen, wie der von der Corona-Krise besonders betroffene Tourismussektor gestärkt und für die Zukunft neu ausgerichtet werden kann. Kurzfristig ist wichtig, Unternehmen und Beschäftigung in der EU zu erhalten. Vertrauen und Vorhersehbarkeit für Reisende und Reisewirtschaft sind hier zurückzugewinnen. Langfristiges Ziel ist es, den Tourismus nachhaltiger und digitaler zu gestalten und seine Widerstandsfähigkeit zu stärken.

In Kürze
Die EU-Wettbewerbspolitik an die Herausforderungen der Globalisierung und Digitalisierung anpassen.

Außerdem konnte ein Diskussionsprozess zur Normung angestoßen werden. Hier geht es um Lösungsansätze und Verbesserungsvorschläge auf europäischer und internationaler Ebene. Mit einer sinnvollen Arbeitsteilung zwischen privatwirtschaftlicher Normung und Gesetzgeber sollen einheitliche und kohärente Produktanforderungen im europäischen Binnenmarkt definiert und europäische Politiken wie der Grüne Deal oder das Digitale Europa unterstützt werden. Basis dafür ist die EU-Normungsverordnung. Die strategischen Beratungen können in der wieder eingesetzten Ratsarbeitsgruppe für technische Harmonisierung (Standardisierung) auch über die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hinaus fortgeführt werden. Denn für eine innovative europäische Wirtschaft und speziell kleine und mittlere Unternehmen ist es von großer Bedeutung, Normen und Standards international mit zu setzen.

Im Bereich Raumfahrt verständigten sich die zuständigen Ministerinnen und Minister der EU und der ESA auf gemeinsame Vorstellungen zu „Richtungsvorgaben für den europäischen Beitrag zur Festlegung wesentlicher Grundsätze für die globale Weltraumwirtschaft“. Zudem konnten die Verhandlungen zur neuen Raumfahrt-Verordnung abgeschlossen werden. Mit dieser werden erstmals sämtliche Raumfahrtprogramme der EU, wie Galileo und Copernicus, in einem übergreifenden EU-Raumfahrtprogramm zusammengeführt.

Offene Märkte erhalten und faire Wettbewerbsbedingungen schaffen

Die Corona-Krise hat erneut die Vorteile offener Märkte und eines regelbasierten Handels verdeutlicht. Gleichzeitig hat sie Risiken offengelegt, die durch einseitige Abhängigkeiten oder unfaire Handelspraktiken entstehen können.

Eine Priorität der deutschen EU-Ratspräsidentschaft war es deshalb, frühzeitig die Diskussion über die Neuausrichtung der EU-Handelspolitik zu beginnen. Die Handelsministerinnen und -minister der EU setzten dabei ein klares Zeichen für offene Märkte und regelbasierten Handel und dafür, dass sich die EU vergleichbaren, durchsetzbaren Wettbewerbsbedingungen verpflichtet fühlt. Sie berieten intensiv, wie eine geschlossene europäische Reaktion auf eine Vielzahl neuer globaler Herausforderungen aussehen sollte.

Ein Schwerpunkt dabei war die Erarbeitung eines Vorschlags für die Reform der Welthandelsorganisation (WTO) als dem Zentrum des multilateralen Handelssystems. Das geschlossene Auftreten der EU im Auswahlverfahren zur Nachbesetzung des WTO-Generaldirektorenpostens stärkt die WTO und die Stimme der EU für den Multilateralismus.

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hat sich konsequent für eine Diversifizierung der Handelsbeziehungen eingesetzt, um Optionen für breit angelegte und widerstandsfähige Lieferketten auszubauen. Es wurden intensive Gespräche mit allen Beteiligten und Interessengruppen geführt und Schritte sondiert, um das Handelsabkommen der EU mit dem MERCOSUR zu finalisieren. Zudem hat die deutsche EU-Ratspräsidentschaft die Europäische Kommission bei den laufenden Verhandlungen zu Handelsabkommen mit Australien und Neuseeland unterstützt, um einen baldigen Abschluss zu erreichen.

Eingehend erörtert wurden im Kreis der Handelsministerinnen und -minister zudem Möglichkeiten zum Erhalt und zur zukunftsfähigen Ausrichtung der europäischen Stahlindustrie.

Intensive Beratungen fanden auch zu den Handelsbeziehungen der EU mit den Vereinigten Staaten von Amerika sowie der Volksrepublik China statt. Zentrale Ziele bleiben eine positive Ausgestaltung der Handelsbeziehungen und der erfolgreiche Abschluss des EU-China-Investitionsabkommens unter Wahrung der Interessen der EU.

Ein richtungsweisender Erfolg zur Intensivierung der transatlantischen Beziehungen ist die Verständigung mit den Vereinigten Staaten auf den sogenannten „Hummer-Deal“ und seine kurzfristige Umsetzung. Dadurch werden erstmals seit rund zwei Jahrzehnten Zölle zwischen den beiden Wirtschaftsräumen gesenkt bzw. eliminiert.

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In Kürze
Die Beratungen zur Neuausrichtung der EU-Handelspolitik sowie den künftigen Beziehungen zu den wichtigen Handelspartnern USA und China wurden substanziell vorangebracht.

Wichtige legislative Erfolge sind die erzielten Einigungen mit dem Europäischen Parlament zur Durchsetzungsverordnung sowie zur Dual-use-Verordnung. Die geänderte Durchsetzungsverordnung ermöglicht es der EU, künftig gegen rechtswidrige handelspolitische Maßnahmen von Drittstaaten auch dann Gegenmaßnahmen zu ergreifen, wenn eine bindende WTO-Streitschlichtungsentscheidung nicht erreicht werden kann. Die überarbeiteten Exportregeln für Dual-Use-Güter bringen Wettbewerbsfähigkeit, Sicherheitsinteressen und den Schutz der Menschenrechte miteinander in Einklang. Neben einer stärkeren Kontrolle von Überwachungstechnik sind u. a. eine engere Kooperation der Mitgliedstaaten und bestimmte Erleichterungen für Unternehmen vorgesehen.

Mit der Anti-Folter-Verordnung leistet die EU einen wichtigen Beitrag zur Verhinderung von Todesstrafe und Folter und damit zur Stärkung der Menschenrechte, indem sie Exporte spezifischer Güter kontrolliert. Die Evaluation der Verordnung durch die EU-Kommission hat der Rat eng begleitet; sie wurde im deutschen Präsidentschaftshalbjahr abgeschlossen.

Unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft haben sich die EU-Mitgliedstaaten ferner auf einen ambitionierten Vorschlag zur Überarbeitung der OECD-Regeln für die Exportfinanzierung geeinigt. Dieser Vorschlag wurde den OECD-Mitgliedern vorgelegt. Die EU strebt an, die Regelungen der Finanzierungskonditionen, die Transparenzregelungen sowie den Anwendungsbereich zu modernisieren – ein wichtiger Beitrag zur verbesserten Wettbewerbsfähigkeit der EU-Exportwirtschaft.

Auch die Verhandlungen für das International Procurement Instrument (IPI) als Hebel zur Öffnung drittstaatlicher Vergabemärkte wurden fortgesetzt.

Ein wichtiger Schritt hin zu einer grundlegenden Reform des EU-Investitionsschutzrechts war die einstimmige Verabschiedung eines Konsenses für ein transparentes Auswahlverfahren für die Richter des EU-Investitionsgerichtssystems (ICS), nachdem die entsprechenden Verhandlungen im Rat über zwei Jahre hinweg blockiert waren.

Ein bedeutsames Anliegen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft war es auch, die Partnerschaft mit den europäischen Nachbarn, die nicht Mitglied der EU sind, auszubauen und weiter zu vertiefen. Die Mitglieder des Rates des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) haben mit ihrer gemeinsamen Erklärung unterstrichen, wie wichtig enge Beziehungen zwischen der EU und den EWR/EFTA-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein sind.

In Kürze
Großbritannien bleibt auch künftig ein enger Verbündeter und wichtiger Handelspartner.

Unter deutschem Vorsitz wurde außerdem das Gesetzgebungsverfahren zur Verlängerung der Handelspräferenzen für den Westbalkan abgeschlossen. Als EU-Ratspräsidentschaft hat Deutschland im Interesse der EU und ihrer Mitgliedstaaten die Verhandlungen der Europäischen Kommission mit dem Vereinigten Königreich eng begleitet und sich insbesondere für einen offenen Marktzugang ohne Zölle und Kontingente sowie gleiche Wettbewerbsbedingungen und eine gute Rechtsdurchsetzung und Streitbeilegung eingesetzt.

Die digitale Souveränität der EU ausbauen

Nicht zuletzt infolge der Corona-Pandemie schreitet die Digitalisierung in vielen Bereichen immer schneller voran und zeigt großen Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen. Ziel der deutschen EU-Ratspräsidentschaft war es, die digitale Souveränität der EU zu stärken, hochleistungsfähige, sichere und nachhaltig digitale Infrastrukturen zu fördern, die EU als internationalen Standardsetzer zu etablieren sowie das europäische Wertefundament ins Digitalzeitalter zu übertragen.

18 EU-Mitgliedstaaten unterzeichneten eine gemeinsame Erklärung für eine europäische Initiative im Bereich Mikroprozessoren und Halbleitertechnologien. Die Initiative soll den Anteil Europas am Gesamtvolumen des Halbleitermarktes deutlich erhöhen und damit die Abhängigkeiten von Mikrochips aus Drittstaaten mit geringeren Anforderungen an die IT-Sicherheit reduzieren.

Alle EU-Mitgliedstaaten unterzeichneten eine gemeinsame Erklärung zur nächsten Generation einer europäischen Cloud – der „Europäischen Cloud Föderation“. Diese soll einen Überbau für Investitionen, Standardisierung und Interoperabilität im Bereich Cloud und Daten schaffen. In diesem Zusammenhang hat sich auf deutsche Initiative das Projekt GAIA-X zu einem Schlüsselelement der europäischen Bemühungen für den Aufbau einer sicheren und vertrauenswürdigen, souveränen europäischen Dateninfrastruktur entwickelt. Die Vorbereitungen für eine „Europäische Allianz für Industriedaten und Cloud“ sollen in umfangreiche öffentliche und private Investitionen münden.

Die für Telekommunikation und Digitales zuständigen Ministerinnen und Minister verständigten sich darauf, dass ein gemeinsamer europäischer Ansatz für Künstliche Intelligenz entwickelt werden muss, bei dem Innovationen und Vertrauenswürdigkeit im Zentrum stehen. Sie lieferten damit einen wichtigen inhaltlichen Beitrag für einen künftigen europäischen Rahmen für Künstliche Intelligenz; die Europäische Kommission wird dazu im ersten Quartal 2021 einen Vorschlag vorlegen.

Darüber hinaus hat die deutsche EU-Ratspräsidentschaft die Verhandlungen zum Rechtsrahmen für die Governance gemeinsamer europäischer Datenräume erfolgreich angestoßen. Vor allem ging es um die Frage horizontaler Leitplanken, um die Datennutzung sämtlicher Akteure zu stärken und mehr Vertrauen für das Datenteilen zu schaffen. Die Diskussionen im Rat haben zu einem gemeinsamen Verständnis der EU-Mitgliedstaaten beigetragen.

In Kürze
Es gilt, den digitalen Wandel in Gesellschaft und Wirtschaft - insbesondere bei KMU - zu fördern.

Im legislativen Bereich wurde eine politische Einigung zum Programm „Digitales Europa“ erzielt. Ziel ist es, den digitalen Wandel der europäischen Wirtschaft und Gesellschaft zu fördern: Das Programm stärkt den Auf- und Ausbau EU-eigener Kapazitäten in zentralen Bereichen digitaler Technologien und unterstützt ihre Verbreitung und Akzeptanz in Bereichen von öffentlichem Interesse sowie in der Privatwirtschaft, insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen. Dafür stehen in den nächsten sieben Jahren rund 7,6 Mrd. Euro bereit.

Unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wurden die Beratungen über die Verordnung zur Bekämpfung von Online-Kindesmissbrauch mit Hochdruck vorangetrieben und innerhalb kurzer Zeit ein Verhandlungsmandat des Rates beschlossen. Unmittelbar nach Vorliegen des Verhandlungsmandats des Europäischen Parlaments wurden die Trilogverhandlungen aufgenommen. Die intensiven Beratungen zur ePrivacy-Verordnung wurden fortgesetzt. Deutschland wird sich weiterhin für einen erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen einsetzen.

Den Strukturwandel gestalten und die Chancen des Europäischen Grünen Deals nutzen

Die Volkswirtschaften der EU befinden sich in einem tiefgreifenden Strukturwandel, angestoßen durch die zunehmende Globalisierung, die fortschreitende Digitalisierung und das Ziel, die EU bis 2050 im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Die laufenden wirtschaftlichen Anpassungsprozesse werden durch die Corona-Pandemie nochmals beschleunigt. Die EU-Strukturfonds spielen für die Krisenbewältigung und den erfolgreichen Strukturwandel der europäischen Volkswirtschaften eine Schlüsselrolle. Unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft wurde der Grundstein für eine moderne EU-Strukturpolitik gelegt, die Investitionen in Zukunftstechnologien fördert, den Wandel unterstützt und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Regionen stärkt.

Ein zentraler Erfolg der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ist die weitestgehende politische Einigung mit dem Europäischen Parlament über das Legislativpaket der EU-Strukturfonds. Damit haben wir einen wichtigen Beitrag für den möglichst frühzeitigen Beginn der neuen Förderperiode (2021-2027) und den zeitnahen Abschluss der Arbeiten zur erforderlichen Partnerschaftsvereinbarung und zu den operativen Programmen geleistet. Der Fokus der neuen Förderperiode liegt auf dem innovativen und intelligenten wirtschaftlichen Wandel sowie dem Klima- und Umweltschutz.

Mit dem Programm REACT-EU stehen den Regionen für die kommenden zwei Jahre 50,6 Mrd. Euro für Investitionen in grüne und digitale Innovationen und zur Krisenbewältigung zur Verfügung. Dazu zählen Investitionen in das Betriebskapital von kleinen und mittleren Unternehmen, in die Gesundheitssysteme und in den Erhalt von Arbeitsplätzen. Durch den Fonds für einen gerechten Übergang (Just Transition Fund) erhalten Regionen weitere Unterstützung in Höhe von 19,3 Mrd. Euro für die neue Förderperiode, vor allem um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs in eine klimaneutrale Wirtschaft abzufedern.

Der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) ist mit einem Volumen von rund 217,1 Mrd. Euro für die nächste Förderperiode das Flaggschiff der EU-Strukturfonds, hinzu kommen 48 Mrd. Euro für den Kohäsionsfonds. Der EFRE dient der Verbesserung der Wirtschaftsstruktur und ist ein wichtiger Hebel für Investitionen und Innovation. Der Fonds konzentriert sich auf strukturschwache Regionen in ganz Europa und zielt auf die Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit in wirtschaftlichen Schlüsselbereichen ab. Der Fokus liegt auch hier auf kleinen und mittleren Unternehmen. Im Rahmen der Interreg-Programme fördert die EU insbesondere die stärkere Zusammenarbeit zwischen benachbarten Grenzregionen sowie Staaten und Regionen übergreifende Kooperationen in der Raumentwicklung. Dafür stellt die EU in der kommenden Förderperiode rund 9 Mrd. Euro der EFRE-Mittel zur Verfügung.

In Kürze
Zukunftstechnologien wie Wasserstoff und Offshore-Windenergie leisten einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Energie- und Klimaziele der EU.

Darüber hinaus wurden auch die politischen Weichen für eine wirtschaftlich erfolgreiche und ab 2050 klimaneutrale Zukunft der EU gestellt. Im Fokus steht die Ausrichtung der Wirtschaft auf sauberes Wachstum durch Innovationen und klimafreundliche Technologien (Clean Economy).

So berieten die EU-Energieministerinnen und -minister, wie es gelingen kann, die Kräfte zu bündeln und gemeinsame europäische Ansätze zu schaffen, um die EU-Energieziele für 2030 zu erreichen. Besonders intensiv diskutiert wurde die Rolle der CO2-Bepreisung und die Ausweitung des europäischen Emissionshandels auf die Bereiche Wärme und Verkehr. Dabei sollen Energieeffizienz, die Renovierungswelle und die Sektorkopplung gefördert sowie erneuerbare Energien ausgebaut werden.

Ein weiteres wichtiges Thema der deutschen EU-Ratspräsidentschaft war das Thema Wasserstoff. Die Wasserstoff-Technologie bietet enorme wirtschaftliche und energiepolitische Potenziale und verknüpft eine ambitionierte Klimapolitik mit nachhaltigem Wirtschaftswachstum. Die Entwicklung europäischer und globaler Märkte und Infrastrukturen in diesem Bereich steht im Zentrum der dazu verabschiedeten Ratsschlussfolgerungen.

Für die Erreichung der Energie- und Klimaziele der EU für 2030 und 2050 ist der grenzüberschreitende Ausbau der erneuerbaren Energien zentral, insbesondere im Bereich der Offshore-Windenergie. Die Schlussfolgerungen des Energierates dazu enthalten gemeinsame Anforderungen der Mitgliedstaaten an verbesserte EU-Rahmenbedingungen für Kooperationsprojekte auf europäischer Ebene. Sie betreffen u. a. Leitlinien für die Mitgliedstaaten, verbesserte Finanzierungsinstrumente und förderliche EU-Strommarktregeln. Zu begrüßen ist, dass die EU-Kommission Kernforderungen aus den Ratsschlussfolgerungen bereits in ihre Strategie für erneuerbare Energien auf See übernommen hat.

Schließlich konnte unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft eine politische Einigung zu vier Verordnungen im Bereich der Kernkraft erreicht werden. Mit den beschlossenen EU-Finanzhilfen für den Rückbau von Kernreaktoren in Höhe von fast 1,18 Mrd. Euro in der kommenden Förderperiode, der Verordnung über das Instrument für Nukleare Sicherheit (EINS) und der Verordnung über das Programm der Europäischen Atomgemeinschaft für Forschung und Ausbildung für 2021 bis 2025 leistet die EU einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung der nuklearen und radiologischen Sicherheit innerhalb der EU und darüber hinaus.

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Kontakt
Jörn Rauhut
Referat: Deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2. Halbjahr 2020
schlaglichter@bmwi.bund.de