Das BMWi fördert Forschungsprojekte, die Teile der bisherigen Energieinfrastruktur für die Versorgung von morgen nutzen

Illustration zum Thema "Neue Energieforschung in „alter“ Infrastruktur"

© Orlando Hoetzel

Über 150 Jahre Industriegeschichte haben in ganz Deutschland Spuren hinterlassen. Zechengebäude und Fördertürme, riesige Tagebaulöcher in den Braunkohlerevieren sowie Kraftwerke im gesamten Bundesgebiet sind sichtbare Zeugnisse der Zeit. Unter der Erdoberfläche existieren kilometerlange Stollengänge, unterirdische Gasspeicher, aber auch Erdgas- beziehungsweise Wärmenetze. Die bestehende Infrastruktur gehört keineswegs zum alten Eisen, im Gegenteil: Sie birgt vielfältige Chancen. Mit innovativen Technologien und Verfahren lässt sie sich für die Energieversorgung der Zukunft nutzen.

Das BMWi unterstützt diese Wandlungsprozesse im Rahmen des 7. Energieforschungsprogramms: Es fördert konkrete anwendungsnahe Forschungsprojekte im Energiebereich, die aufzeigen, ob und wie Grubenwasser, Stollen, Kraftwerke oder Leitungsnetze ökologisch und ökonomisch weitergenutzt werden und somit Beiträge zur Energiewende liefern können. Zudem fördert das BMWi den Technologie- und Innovationstransfer mit dem neuen Förderformat „Reallabore der Energiewende“. Diese bringen eine Vielzahl innovativer Technologien und Lösungen im industriellen Maßstab und unter realen Bedingungen zusammen.

Mit seiner Forschungsförderung unterstützt das BMWi den Strukturwandel in den betroffenen Regionen. Neue zukunftsfähige Arbeitsplätze und Geschäftsmodelle können entstehen. Doch nicht nur das: Das erworbene Wissen eröffnet deutschen Industrieunternehmen mit Blick auf die globale Energiewende Exportchancen in alle Welt.

Kurz erklärt
2018 endete der Steinkohlebergbau in Deutschland. Geblieben ist die sogenannte Ewigkeitsaufgabe: Gewaltige Mengen an Grubenwasser müssen dauerhaft abgepumpt werden, damit das Trinkwasser sauber und der Boden in den ehemaligen Bergbaugebieten stabil bleibt. Im Ruhrgebiet ist die RAG Aktiengesellschaft (ehemals Ruhrkohle AG) damit beauftragt. Sie pumpt jährlich über 70 Millionen Kubikmeter Grubenwasser aus Schächten und Stollen an die Oberfläche. Das Wasser wird bislang größtenteils in umliegende Gewässer wie Emscher, Lippe und Ruhr geleitet. Forschungsteams untersuchen, wie sich das warme Grubenwasser künftig energetisch nutzen lässt.

Warmes Grubenwasser kann ganze Stadtquartiere heizen

Bereits seit einigen Jahren nutzen verschiedene Kommunen wie Zwickau oder Bochum Grubenwasser, um einzelne Gebäude wie Schulen oder Institutsgebäude zu heizen. Denn Grubenwasser kann, aus großer Tiefe gefördert, bis zu 30 °C warm sein. Unter der Leitung des Lehrstuhls für Energiesysteme und Energiewirtschaft der Ruhr-Universität Bochum haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammengetan, um im größeren Rahmen umsetzen, was bisher im kleinen Stil praktiziert wird. In dem Forschungsprojekt „Grubenwasser-Ruhr“ untersuchen sie, wie ein ganzes Quartier mit der Wärme des Grubenwassers versorgt werden kann. Dafür haben sie in einem ersten Schritt die theoretischen Grundlagen analysiert.
In der geplanten praktischen Umsetzungsphase möchte das Wissenschaftsteam die Temperatur des Grubenwassers von 20 bis 30 °C vor Ort mit Wärmepumpen soweit erhöhen, dass Wohnungen und Gewerbeflächen geheizt werden können. Schätzungen zufolge könnten bis zu 50.000 ­Wohnungen im Ruhrgebiet durch geothermisch ­erwärmtes Grubenwasser CO2-neutral beheizt werden. Derzeit wird lediglich 0,1 % dieses Potenzials genutzt.

Warmes Wasser aus der Tiefe speist bestehende Fernwärmenetze

In dem Forschungsprojekt „Deep Geothermal Energie (DGE-) Rollout“ untersucht die Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG zudem, wie geothermisch erhitztes Wasser aus einer Tiefe von 4.000 m mit über 100 °C in das Fernwärmenetz des Braunkohlekraftwerks Weisweiler eingespeist werden kann. Die Maßnahme kann Vorbild sein für die gesamte Rhein-Ruhr-Region mit ihren gut ausgebauten Verbundfernwärmenetzen, deren kohlebasierte Versorgung ersetzt werden muss. Die gewonnenen Erkenntnisse aus DGE-Rollout sind für Kohleregionen weltweit interessant und bieten somit neben der künftigen kommunalen Energieversorgung auch erhebliche Chancen für die exportorientierten Branchen der Bergbau-, Umwelt-, und Energietechnologien. Daher wird dieses Projekt sowohl national vom BMWi als auch auf europäischer Ebene durch die EU gefördert.

Kraftwerksforschung arbeitet an alternativen Brennstoffen

Spätestens 2038 wird in Deutschland das letzte kohlebefeuerte Kraftwerk stillgelegt. Das sieht das Kohleausstiegsgesetz vor, das der Bundestag im Sommer 2020 verabschiedet hat. Doch Kohlekraftwerke können prinzipiell mit alternativen Brennstoffen wie Biomasse oder Abfall sowie modifizierter Technik weiterbetrieben werden. Forschungseinrichtungen, Hochschulen und Industrieunternehmen arbeiten in verschiedenen Verbundprojekten an Brennstoffalternativen und angepassten technischen Kraftwerkskomponenten. Würden diese in bestehenden Kraftwerken zur Anwendung kommen, ließe sich die Infrastruktur an Kraftwerksgebäuden und -komponenten sowie vorhandene Stromnetze weiternutzen. Damit könnten die Investitionskosten für Kraftwerksbetreiber gesenkt werden.

In Kürze:
In Deutschland gewonnene Erkenntnisse können für Kohleregionen weltweit interessant sein und bieten somit erhebliche Chancen für den Technologieexport.

So hat die Technische Universität Hamburg in dem Forschungsprojekt „Mitverbrennung von Biomasse in kohlebefeuerten Dampfkraftwerken“ gemeinsam mit verschiedenen Partnereinrichtungen die technischen, ökologischen und ökonomischen Mög­lichkeiten unterschiedlicher Biomassen wie Holz, Klärschlamm oder landwirtschaftlicher Ernterückstände analysiert. Biomassen unterscheiden sich in ihrem Wasser- und Energiegehalt. Dies hat Auswirkungen auf den Kraftwerksprozess. So können Stroh oder Holz in großen Kraftwerken direkt mitverbrannt werden. Bei anderen Arten von Biomasse müsste ein weiterer Prozessschritt, die sogenannte Brennstoffveredelung, dazwischengeschaltet werden. Hier besteht jedoch noch großer Forschungsbedarf. Die Studie bietet darüber hinaus Informationen, welche veränderten Beanspruchungen die Kraftwerkskomponenten durch die unterschiedlichen Biomassen erfahren. Diese Erkenntnisse sind auch für künftige, rein biomassebefeuerte Kraftwerke interessant.

Illustration zum Thema "Neue Energieforschung in „alter“ Infrastruktur"

© Orlando Hoetzel

Aus alten Kohlekraftwerken werden CO2 -freie Speicherkraftwerke

Mit Hochtemperatur-Wärmespeichern ließen sich Kohlekraftwerke zudem perspektivisch auch zu Wärmespeicherkraftwerken umbauen, die große Mengen an elektrischer Energie speichern, um Stromproduktion und Strombedarf auszugleichen. Im Forschungsvorhaben „Future Energy Solution“ (FES) entwickelt und optimiert ein Wissenschaftsteam unter der Projektleitung von Siemens Gamesa in Hamburg beispielsweise einen Strom-zu-Strom-Speicher. In der Demonstrationsanlage wird Windstrom bei Bedarf nicht abgeregelt, sondern in Wärme umgewandelt, die in Vulkangestein gespeichert wird. Die gespeicherte Wärme kann dann rückverstromt werden – und zwar in dem „alten“, aber baulich angepassten Kraftwerk, bei dem unter anderem ein innovativer Energiespeicher den bisherigen Kohlekessel ersetzt. Neben den Forschungsarbeiten zur Anlagentechnik untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Rahmen von FES auch, wie sich der Speicher beziehungsweise das Speicherkraftwerk in den Strommarkt integrieren ließe. Dazu bauen sie die Anlage in ein virtuelles Kraftwerk ein und simulieren die Vermarktung.

In Kürze:
Unter Power-to-X werden Technologien zusammengefasst, bei denen Strom, etwa aus Photovoltaik- oder Windenergieanlagen, u. a. in Gase wie Methan oder Wasserstoff oder Flüssigkeiten wie Methanol umgewandelt wird.

Reallabor TransUrban.NRW wandelt Fernwärmeleitungen für Niedertemperaturnetz um

In die deutsche Kraftwerksinfrastruktur ist ein umfängliches Fernwärmenetz integriert. Auch dieses soll künftig mit entsprechenden Modifikationen so weit wie möglich weitergenutzt werden. In „TransUrban.NRW“, einem Reallabor der Energiewende, untersuchen Forschungsteams unter anderem, wie die klassische kohlebasierte Fernwärmeversorgung in den Kohlerevieren Nordrhein-Westfalens in CO2-arme Versorgungssysteme transformiert werden kann. Die Herausforderung: Wärme aus Erneuerbaren Energien und Abwärme weist deutlich niedrigere Temperaturen auf als jene aus der Kohleverstromung. Die dazu erforderlichen Niedertemperatur-Netze werden neu errichtet oder bestehende Fernwärmeleitungen, die ursprünglich für hohe Temperaturen ausgelegt waren, werden modifiziert und im neuen Netz weiter genutzt. Das Projekt umfasst vier Quartiere in Gelsenkirchen, Mönchengladbach, Herne und Erkrath. Jedes dieser Reallabor-Quartiere steht für einen anderen Innovationsschwerpunkt und unterscheidet sich in seiner Struktur. TransUrban.NRW zählt zu den 20 Gewinnern des Ideenwettbewerbs „Reallabore der Energiewende“, die Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier im Juli 2019 verkündet hat.

Bestehende Erdgasnetze und -speicher für CO2 -neutrale Gase nutzen

Der Transformationsprozess im Energiebereich zu einer langfristig sicheren, bezahlbaren und nachhaltigen Energieversorgung geht weiter. Neben den beschlossenen Ausstiegen aus der Kernenergie und der Kohle beschäftigen sich Wissenschaft, Unternehmen und Politik aktuell damit, wie mittel- und langfristig die technischen und ökonomischen Lösungen für einen sukzessiven Ersatz von fossilem Erdgas aussehen können. Mit der nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung und dem vom BMWi initiierten Dialogprozess Gas 2030 geht der Transformationsprozess auch beim Energieträger Gas weiter in Richtung Dekarbonisierung. Zukünftig werden CO2-neutrale Energieträger wie Wasserstoff, Biogas und weitere Power-to-X-Produkte an Bedeutung gewinnen.

Bei dem Transformationsprozess im Gasbereich soll die bisherige Erdgasinfrastruktur möglichst weitergenutzt werden. Derzeit versorgt ein mehr als 500.000 Leitungskilometer umfassendes, flächendeckendes Gasnetz Haushalte und Industrieunternehmen mit dem fossilen Brennstoff. Werden allerdings andere Gase wie Biogas oder Wasserstoff eingespeist, sind technische und regulatorische Anpassungen nötig. Hier besteht weiterhin Forschungsbedarf. Wasserstoff kann zum Beispiel das Material von Gasleitungen auf Dauer angreifen. Um dies zu vermeiden, entwickeln Forschungsteams unter anderem innovative Leitungs- und Beschichtungsmaterialien, die vor Korrosion schützen.

In Kürze:
Wasserstoff kann die Energiewende entscheidend voranbringen. Er eignet sich z. B. als alternativer Treibstoff in der Mobilität oder als Rohstoff für die Industrie. Wasserstoff stellt zudem eine Option der Speicherung erneuerbarer Energien dar.

Auch die Reallabore der Energiewende fokussieren das Thema Wasserstoffproduktion und -transport. In Schleswig-Holstein ist im August 2020 „Westküste 100“ gestartet. Die Beteiligten in diesem großen Forschungszusammenschluss planen, aus Offshore-Windenergie Wasserstoff zu produzieren und die dabei entstehende Abwärme zu nutzen. Im Anschluss soll der Wasserstoff zu einem Teil in bestehende Gasnetze eingespeist und zu einem anderen Teil für die Produktion klimafreundlicher Treibstoffe für Flugzeuge genutzt werden.

Unterirdische Gasspeicher können große Mengen an Energie über lange Zeiträume speichern und damit zur Versorgungssicherheit beitragen. Bevor Wasserstoff jedoch in ehemaligen Erdgasspeichern gespeichert werden kann, sind unter anderem Fragen zur Wasserstoffverträglichkeit zu klären. Da Wasserstoff anders mit dem umgebenden Gestein, den vorhandenen Mikroorganismen, dem Zement im Bohrloch und Stahl reagiert als Erdgas, sind vielfältige Analysen notwendig. Diese wurden zum Beispiel im Forschungsprojekt „HyInteger“ unter der Projektleitung der Friedrich-Schiller-Universität Jena durchgeführt. Im Projekt „Untertägige Methanisierung im Aquiferspeicher (UMAS)“ wird unter Leitung der Berliner Erdgas GmbH zudem untersucht, ob sich der seit 2017 stillgelegte Berliner Erdgasspeicher zukünftig auch für die unterirdische Herstellung von Methan eignet. Die Umnutzung erfolgt in zwei Schritten: Zunächst wird Strom aus erneuerbaren Energiequellen per Elektrolyse in Wasserstoff umgewandelt. Der Wasserstoff wird anschließend gemeinsam mit CO2 in den unterirdischen Speicher eingeleitet und dort durch Mikroorganismen in Methangas umgewandelt. Das Methangas könnte dann direkt im Erdgasnetz genutzt werden – etwa für Wärme oder Mobilität. Bisher liefen die Arbeiten im Labormaßstab, um verschiedene Versuchsparameter variieren zu können. Ein nächster Schritt besteht in der Erprobung eines unterirdischen Wasserstoffspeichers im industriellen Maßstab.

Schwimmende Photovoltaik-Anlagen auf Tagebauseen

Zu den vielen bereits laufenden Forschungsvorhaben zur Transformation der Kohle- und Erdgasinfrastruktur werden perspektivisch weitere hinzukommen. So stehen Forschungsgruppen in den Startlöchern, die untersuchen werden, wie schwimmende Photovoltaik-Kraftwerke ökologisch und ökonomisch optimal auf den durch den Braunkohletagebau entstandenen Tagebauseen Strom produzieren können. Ein Vorteil der sogenannten Floating-PV-Anlagen besteht in ihrer Gewässerkühlung, die eine höhere Stromproduktion ermöglicht. Zudem werden so Flächen für den Photovoltaik-Ausbau nutzbar gemacht, die nicht in Konkurrenz zur begrenzten landwirtschaftlichen Nutzfläche stehen. Knapp 500 Tagebauseen mit einer Gesamtfläche von etwa 40.000 Fußballfeldern existieren in Deutschland. Eine erste Studie des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE zum Thema liegt vor. Das gesamte wirtschaftlich erschließbare Potenzial für Floating-PV-Kraftwerke schätzt das Projektteam auf etwa fünf Prozent der errechneten Seefläche. Dieser relativ geringe Wert erklärt sich dadurch, dass sich die Seeflächen für ein solches Feld eignen müssen. Zudem sind diverse Seen für Freizeitaktivitäten oder Natur- und Landschaftsschutz ausgewiesen. Erste Floating-PV-Anlagen existieren bereits: In der Gemeinde Weeze am Niederrhein ist im Oktober 2020 das bislang größte schwimmende Solarkraftwerk Nordrhein-Westfalens in Betrieb gegangen.

Mehr zum Thema:
Weitere Informationen zur Forschungsförderung des BMWi im Rahmen des 7. Energieforschungsprogramms finden Sie unter: www.energieforschung.de
Kontakt:
Jens Winkler
Referat: IIC 5 Energieforschung – Grundsatzfragen und Strategie
schlaglichter@bmwi.bund.de