Der Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Peter Altmaier, hat am 11. September 2020 eine „Allianz von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat für Klimaneutralität und Wohlstand“ vorgeschlagen

Illustration zum Thema "Klima schützen - Wirtschaft stärken"

© Enrico Nagel

Lebensfreundliches Klima ist wie eine Ressource, die täglich weltweit verbraucht wird. Sie ist in engen Grenzen erneuerbar, indem Kohlendioxid der Atmosphäre entzogen wird. Sie hat jedoch keinen Marktpreis wie Kupfer oder Kartoffeln, denn sie steht weltweit noch weitgehend unentgeltlich zur Verfügung – obwohl es sich um eine beschränkte Ressource handelt. Darin besteht ein Dilemma.

Doch „Klimaverbrauch“ ist nicht gratis, er kann uns und künftige Generationen die Zukunft kosten. Man kann ihm sogar ein Preisschild anheften: Das Umweltbundesamt hat 2019 für den Klimaverbrauch einen Kostensatz von 640 Euro je Tonne emittierten Kohlendioxids errechnet, wenn der „Nutzen heutiger und zukünftiger Generationen“ berücksichtigt wird. Die Zuverlässigkeit dieses konkreten Wertes ist gering, aber die dahinterstehende Aussage ist richtig: Klimaverbrauch erzeugt Kosten, die sich bislang unzureichend in Marktpreisen niederschlagen.

In Kürze:
Klimaschutz ist längst keine reine Frage von gutem Willen mehr.
Er ist zu einer Notwendigkeit geworden.

Sich emissionsarm zu verhalten, wurde noch bis in die 2000er Jahre von vielen als Sache freien und guten Willens angesehen. Doch Klimaschutz ist längst keine reine Frage des guten Willens mehr. Er ist – von manchen unbemerkt oder als Problem negiert – zu einer Notwendigkeit geworden. Die Wirkungen des Klimawandels sind für uns bereits spürbar. Das anzuerkennen, hat ein erstes großes Umdenken erfordert, verbunden mit vielen Konflikten: um Ziele, Maßnahmen und Kosten, um Fakten und Prognosen, um Prioritäten und vor allem um das notwendige Tempo.

Das Verdienst des Kyoto-Protokolls aus dem Jahr 1997 besteht darin, die Notwendigkeit benannt und erste Lösungswege vereinbart zu haben. Dennoch sehen viele Länder den Klimaschutz weiterhin als eine Frage guten Willens an, der man beispielsweise aus Kostengründen ausweichen kann. In diesem Spannungsfeld steht die Klimapolitik seit ihrem Beginn. Ihre Ergebnisse können jedoch immer weniger Schritt halten mit den unmittelbar drängenden Erfordernissen. Alle bisherigen Erfolge reichen längst nicht aus, um das Ziel einer rechtzeitigen und ausreichenden Begrenzung der Erderwärmung zu erreichen.

Konsens über Klimaneutralität

Mit seinen Vorschlägen für eine „Allianz von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat für Klimaneutralität und Wohlstand“ setzt sich Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier für ein zweites großes Umdenken ein: vom alten Streit um Prioritäten hin zur Einsicht, dass Klimaschutzpolitik und Wirtschaftspolitik konzeptionell in Einklang gebracht werden müssen. Denn wirksamer Klimaschutz und wirtschaftlicher Wohlstand bedingen einander. Diese Versöhnung ist nicht trivial: Wer sich mit Leidenschaft im Klimaschutz engagiert, sieht oft nicht, dass eine florierende, wettbewerbsfähige Wirtschaft grundlegend dafür ist, auch seine Ziele zu erreichen. Umgekehrt haben manche Akteure der Wirtschaft noch nicht erkannt, dass Klimaschutz eine unserer Wachstumsgrundlagen bildet. Dieser seit Jahrzehnten ausgetragene, aber in der Sache nicht zielführende Konflikt geht von der Vorstellung aus, dass Klimaschutz und Wirtschaftsinteressen einander entgegenstehen, so dass Prioritäten hart ausgefochten werden müssten.

Gegen dieses konfrontative Denkmodell spricht bereits, dass es im Zeitraum von 1990 bis 2018 gelungen ist, die Treibhausgasemissionen in der EU um 23 %zu senken, während die Wirtschaftsleistung um 61 % gestiegen ist.

Für ein neues Umdenken in der Wirtschaftspolitik besteht ein historisches Vorbild: Bis ins zwanzigste Jahrhundert wurden auskömmliche Entlohnung und unternehmerischer Erfolg als unversöhnliche Gegensätze gesehen. Heute ist man sozial- und wirtschaftspolitisch klüger, wozu nicht zuletzt Ludwig Erhard maßgeblich beigetragen hat. In seinen Worten: „Die Gesellschaft von heute ist keine Gesellschaft von kämpfenden Gruppen mehr […], die einander ausschließende Ziele durchsetzen wollen, sondern [ist] ihrem Wesen nach kooperativ [und beruht] auf dem Zusammenwirken aller Gruppen und Interessen“. Erhard zeigte sich überzeugt davon, dass „alle Schichten und Gruppen unseres Volkes“ die Erfahrung gemacht hätten, „dass die Vertretung der eigenen Interessen nicht notwendigerweise den Konflikt mit anderen auslösen muss, sondern dass der verständnisvolle Ausgleich ein gutes Mittel demokratischer Politik ist.“ In seiner Regierungserklärung vom November 1965 kündigte er an: „Um die Einsicht in die gesamtwirtschaftlichen Notwendigkeiten und ein entsprechendes Verhalten zu fördern, wird die Bundesregierung mit den Repräsentanten aller wichtigen sozialen Gruppen einen regelmäßigen, häufigeren, umfassenden und intensiven Dialog einleiten.“

In Kürze:
Klimaschutzpolitik und Wirtschaftspolitik müssen konzeptionell in Einklang gebracht werden.

Erhard zufolge werden Konsensprozesse dieser Art „von der Fähigkeit und der Bereitschaft der Menschen getragen […] das ihrem eigenen Wohl Dienende zu erkennen und zu tun […], aus eigener Kraft, aus eigenem Willen, aus der Erkenntnis und dem wachsenden Bewusstsein der gegenseitigen Abhängigkeit.“

Diesem Vorbild entsprechend, schlägt Bundesminister Altmaier vor, „einen breiten parteiübergreifenden Konsens über die klimapolitischen Handlungsnotwendigkeiten herbei[zu]führen. Daran sollten nicht nur die im Bundestag vertretenen Parteien, sondern auch weite Teile der Klimabewegung, der Wirtschaft und der Kirchen und Religionsgemeinschaften“ mitwirken. Die Entscheidung über klimapolitische Weichenstellungen dürfe „nicht dauerhaft und allein vom Ausgang von Wahlen und Regierungsbildungen abhängig sein. […] Nur wenn sich klimapolitisch engagierte und überzeugte Bürgerinnen und Bürger aus unterschiedlichsten Bereichen zusammenfinden und für die Kontinuität des klimapolitischen Diskurses sorgen, wird ein Rückfall in alte Gewohnheiten dauerhaft zu vermeiden sein. Denn Klimaschutz ist eine zentrale Aufgabe unserer Generation.“

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© Enrico Nagel

Klimaneutralität als Ziel – Markt und Wettbewerb als Mittel

Jeder gesellschaftliche Konsens für Klimaschutz braucht einen Handlungsrahmen aus gemeinsamen Werten und Zielen. Die Vorschläge von Bundesminister Peter Altmaier bilden dessen wesentliche Elemente ab, die in einer „Charta für Klimaneutralität und Wirtschaftskraft“ von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden sollen. Handlungsrahmen und Charta sind an den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft und des unternehmerischen Wettbewerbs ausgerichtet. Auch im Green Deal der Europäischen Kommission wird die Vision „einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft“ vorgestellt, „in der im Jahr 2050 keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr freigesetzt werden und das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abgekoppelt ist.“ Die zentrale Botschaft darin ist klar: Klimaneutralität soll und kann nach den Prinzipien von Markt und Wettbewerb erreicht werden. Die Marktkräfte – knappe Ressourcen, Gewinnstreben, Konsumentenwünsche, technologischer Fortschritt, also die Mechanik von Angebot und Nachfrage, vermittelt über Preissignale sollen gezielt zur Wirkung gebracht werden. Eine Marktwirtschaft auf dem Weg zur Klimaneutralität soll in emissionsarme Produktionsstrukturen und Geschäftsmodelle investieren. Dem Staat fällt die Aufgabe zu, einen Wettbewerbsrahmen zur Verfügung zu stellen, innerhalb dessen die wirtschaftliche Initiative des Einzelnen und sein Unternehmergeist Wirtschaft und Gesellschaft in die Klimaneutralität führen.

Diesem Grundsatz folgen die Vorschläge von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier: „Die Erreichung der Klimaziele erfolgt vorrangig durch marktwirtschaftliche Maßnahmen.“ Er hat in einer Pressekonferenz am 16. September unterstrichen: Der „Green Deal der EU-Kommission […] bietet die einzigartige Chance, Klimaschutz und Wirtschaft gemeinsam voranzubringen und zu versöhnen. Wir können Klimaneutralität, einschließlich notwendiger Zwischenziele [nur dann] erreichen, wenn wir gleichzeitig mit Innovation und Technologie Arbeitsplätze sichern und neue schaffen.“

Das beinhaltet:

  • Klimaschutz ist gebunden an eine wirtschaftliche Leistungs- und Innovationskraft. Deshalb muss die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auch im Strukturwandel gesichert und ausgebaut werden.
  • Klimaschutz muss schrittweise als Wettbewerbsfaktor auf den Kapital- und Produktmärkten etabliert werden. Das setzt Transparenz entlang der Wertschöpfungsketten voraus. Insbesondere muss die Emission von Kohlendioxid in allen Branchen mit betriebswirtschaftlichen Kosten verbunden werden. Deutsche Unternehmen müssen weiterhin auch dort erfolgreich sein können, wo Klimaneutralität noch keine Rolle spielt.
  • Der wirtschaftliche Strukturwandel muss staatlich flankiert und unterstützt werden. Wettbewerbsnachteile dürfen nicht entstehen. Die finanziellen Lasten des Klimaschutzes müssen gerecht verteilt werden: regional, sozial und über Branchengrenzen hinweg.
  • Die Unternehmen müssen Unterstützung, aber auch Planungssicherheit erhalten hinsichtlich der schrittweise zu erreichenden Klimaziele. Nur dann werden sie in klimaschützende Technologien und Produkte investieren. Dazu gehört insbesondere die sichere Perspektive einer ausreichenden Versorgung mit kohlendioxidarmer Energie zu wettbewerbsfähigen Kosten. Je konsequenter die klimapolitische Transformation vorangebracht wird, desto mehr Unterstützung muss denjenigen Unternehmen zuteil werden, die hier vorangehen.

Im Kern haben Wirtschafts- und Klimaschutzpolitik die Aufgabe, Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, die es der Wirtschaft ermöglichen, bis 2050 die Klimaneutralität zu erreichen.

In Kürze:
Der Staat muss einen Wettbewerbsrahmen schaffen, der die Gesellschaft in die Klimaneutralität führt.

Stärkung der Zivilgesellschaft für Wirtschaft und Klimaschutz

Eine grundlegende Wende in der Klimapolitik lässt sich nur mit einer starken und leistungsfähigen Volkswirtschaft in Deutschland umsetzen und weltweit zum Durchbruch bringen. Eine solche Wende erfordert einen starken politischen und gesellschaftlichen Konsens. Im Konzept von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier werden daher mehrere Diskussionsforen und Think Tanks benannt, die den „breiten parteiübergreifenden Konsens über die klimapolitischen Handlungsnotwendigkeiten“ befördern sollen. Dahinter steht die Idee, die Zivilgesellschaft stärker in die Diskussionen um Ziele, Wege und Kompromisse im Klimaschutz einzubeziehen und sie bei Entscheidungen in Pflicht und Verantwortung zu nehmen.

In einem Beratergutachten für die Bundesregierung wird gesagt, dass „durch die zunehmende Verantwortungsaneignung der globalen Zivilgesellschaft eine stärker horizontale Verteilung von Verantwortung erreicht werden“ kann und dass „sich die internationale Klimapolitik und zivilgesellschaftliche Initiativen nicht kontrovers gegenüber stehen, sondern einander kraftvoll ergänzen“ können. Die Zivilgesellschaft soll und muss stärker als bisher ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung für langfristig tragfähige Lösungen im Klimaschutz wahrnehmen. Sie soll direkt an den Entscheidungen teilhaben und aktiv an deren Umsetzung mitwirken.
Und noch eines ist wichtig: Auch wenn bestehende Klimaschutzinitiativen sich als breite gesellschaftliche Bündnisse verstehen und ihre ­Diskussionsschwerpunkte oft im wirtschaftspolitischen Bereich liegen, sind darin noch zu wenige Vertreter der Wirtschaft engagiert.

Vor diesem Hintergrund hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier seine „Allianz von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat für Klimaneutralität und Wohlstand“ vorgeschlagen.

Illustration zum Thema "Klima schützen - Wirtschaft stärken"

© Enrico Nagel

Mehr zum Thema:
Die Vorschläge von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier für eine „Allianz von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat für Klimaneutralität und Wohlstand“ sind hier abrufbar:
www.bmwi.de/altmaier-stellt-vorschlag-fuer-eine-allianz-fuer-klimaneutralitaet-und-wohlstand-vor

Quellen für Zitate:
Seite 48: Ludwig Erhard zitiert in „Das Konzept der Formierten Gesellschaft nach Ludwig Erhard“, Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages 2019, Seite 12, WD 1-3000-016/19
Seite 51: Wissenschaftlicher Beirat der Bundes­regierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), Sondergutachten „Klimaschutz als Weltbürger­bewegung“, 2014, Seite 1
Kontakt:
Dr. Robert Säverin
Referat: Politische Planung und Analyse
schlaglichter@bmwi.bund.de