Ein Klassifizierungssystem soll erstmals ein einheitliches Verständnis der Nachhaltigkeit von wirtschaftlichen Tätigkeiten in der EU schaffen

Illustration zum Thema "Sustainable Finance-Taxonomie"

© Malte Knaack

Angesichts der globalen Erderwärmung haben sich die europäischen Staaten zu mehr Klimaschutz verpflichtet. Dabei sehen sowohl das Pariser Klimaabkommen von 2015 wie auch der europäische Green Deal, der Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent machen soll, einen wichtigen Ansatzpunkt bei nachhaltigen Investitionen: Kapitalmärkte können eine wichtige flankierende Rolle zur Erreichung umweltpolitischer Ziele einnehmen, wenn sie private Finanzströme in nachhaltige Verwendungen lenken (Sustainable Finance). Dies kann zugleich dazu beitragen, den großen Kapitalbedarf zur wirtschaftlichen Modernisierung Europas zu decken. Ein zentrales Instrument, an dem die Europäische Kommission derzeit arbeitet, ist hierfür die Sustainable Finance-Taxonomie (nachfolgend Taxonomie). Diese soll künftig helfen, EU-weit Wirtschaftsaktivitäten nach ihrer Nachhaltigkeit zu klassifizieren. In einem ersten Schritt legt die Taxonomie einen besonderen Fokus auf Klimaziele. Perspektivisch soll sie über verschiedene Umweltziele hinaus auch soziale Aspekte und gute Unternehmensführung abdecken.

Design und Funktionsweise der Taxonomie

Laut der Taxonomie-Verordnung gilt eine Wirtschaftsaktivität dann als taxonomiekonform, wenn sie einen wesentlichen Beitrag zu mindestens einem von insgesamt sechs Umweltzielen leistet, ohne den anderen zuwiderzulaufen (Do No Significant Harm – DNSH). Zugleich müssen gewisse Mindestanforderungen, z. B. in Bezug auf Soziales und Menschenrechte, erfüllt werden. Die Umweltziele der Taxonomie sind: (1) Klimaschutz, (2) Anpassung an den Klimawandel, (3) nachhaltige Nutzung von Wasserressourcen, (4) Wandel zu einer Kreislaufwirtschaft, (5) Vermeidung von Verschmutzung und (6) Schutz von Ökosystemen und Biodiversität. Ein Vorschlag zur konkreten Ausgestaltung der Taxonomie wurde von einer von der EU-Kommission beauftragten technischen Expertengruppe (TEG) im März dieses Jahres vorgestellt. Der TEG-Bericht umfasst – ähnlich einem Glossar – auf Basis von Emissionsdaten 70 Wirtschaftsaktivitäten (z. B. Herstellung von Zement oder Aluminium) in acht konkreten Sektoren (z. B. Energieversorgung oder Verkehr), die zusammen für rund 93 % der europäischen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Die TEG hat bislang nur die ersten beiden Umweltziele mit konkreten Vorschlägen unterlegt, die anderen vier Umweltziele sollen folgen.

Taxonomie, Taxonomie-Verordnung und TEG-Bericht

Die EU-Taxonomie ist Bestandteil des im März 2018 vorgestellten „Aktionsplans zur Finanzierung von nachhaltigem Wachstum“. Zu ihr wurde im Dezember 2019 eine politische Einigung zwischen EU- Parlament und Rat erzielt, deren Ergebnis die Taxonomie-Verordnung ist. Da die Verordnung selbst auf eher abstrakte Weise Umweltziele und ein Verständnis von Umweltnachhaltigkeit bei Wirtschaftsaktivitäten definiert, erfolgt eine Konkretisierung anhand technischer Kriterien. Hiermit hat die EU-Kommission die Technical Expert Group (TEG) betraut, welche im März 2020 einen entsprechenden Bericht vorgestellt hat. Dem Bericht waren umfassende Konsultationen mit über 200 Industrievertretern und Wissenschaftlern vorausgegangen. Zur gesetzgeberischen Umsetzung will die EU-Kommission auf dieser Basis im Herbst 2020 sogenannte delegierte Rechtsakte erlassen und diese für vier Wochen zur Konsultation stellen. Erste Anforderungen nach der Taxonomie werden voraussichtlich ab 2022 für das Berichtsjahr 2021 greifen. Der TEG-Bericht und weitere Informationen zur Taxonomie sind unter folgender Adresse zu finden: t1p.de/eu-taxonomy-sustainable-activities

Abbildung 1: Anforderung Taxonomie-Konformität

Abbildung 1: Anforderung Taxonomie-Konformität

Abbildung 2: Die sechs Umweltziele der Taxonomie

Abbildung 2: Die sechs Umweltziele der Taxonomie

Beispielhaft wird im Folgenden anhand des Umweltziels „Klimaschutz“ dargestellt, wie die Taxonomie funktionieren soll. Für dieses Ziel liegen Vorschläge für Schwellenwerte vor und es ist bereits am konkretesten mit Leben gefüllt. Zum ersten Umweltziel kann eine Wirtschaftsaktivität auf drei Arten einen substanziellen Beitrag leisten,

  • wenn die Aktivität selbst mit einer bereits sehr niedrigen oder keiner Treibhausgasemission einhergeht (tiefgrüne Aktivitäten wie z. B. Aufforstungen);
  • wenn die Aktivität den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft bis 2050 unterstützt und es keine tiefgrüne Alternative gibt. Ein Beispiel für sogenannte „Übergangsaktivitäten“ ist die Zementproduktion mit einem Ausstoß von unter 0,498 Tonnen CO2 pro Tonne Zement. Ein Großteil der europäischen Wirtschaftsaktivitäten dürfte dieser Kategorie zugerechnet werden;
  • wenn eine Aktivität eine andere Wirtschaftsaktivität zum Umweltschutz befähigt (z. B. Herstellung bestimmter Produktkomponenten, welche die Umweltbilanz des Abnehmers verbessert – sogenannte „ermöglichende Aktivitäten“). Ein Beispiel ist die Herstellung von Windkrafträdern, welche letztlich die emissionsarme Produktion von „grünem“ Strom ermöglichen.

Sowohl Übergangsaktivitäten wie auch „ermöglichende Aktivitäten“ dürfen nicht zur Bindung von Mitteln in emissionsintensiven Produktionsfaktoren („Lock-in“) führen und die Entwicklung emissionsarmer Alternativen nicht behindern. Zudem müssen Übergangsaktivitäten, um einen substanziellen Klimaschutzbeitrag zu leisten, in ihrem jeweiligen Sektor die niedrigsten Treibhausgasemissionen aufweisen („Best-in-class-Ansatz“). Für diese Aktivitäten hat die technische Expertengruppe nach Konsultation mit Industrievertretern technische Schwellenwerte ermittelt, die Unternehmen einhalten müssen, sollen ihre Wirtschaftsaktivitäten als taxonomiekonform gelten.

Während beim Umweltziel Klimaschutz eine Tonne Emissionsreduktion ortsunabhängig einen vergleichbaren Nutzen stiftet, stellt sich die Situation beim zweiten Umweltziel „Anpassung an den Klimawandel“ anders dar, auch weil hierbei der Kontext (z. B. räumliche Dimension) stärker mitgedacht werden muss. Danach kann ein substanzieller Beitrag zur Anpassung an den Klimawandel beispielsweise darin bestehen, eine an der Küste gelegene Produktionsstätte vor Überschwemmung zu schützen oder ein Regenauffangbecken in einer dürreanfälligen Region zu errichten. Für dieses Ziel wurde keine abschließende Aktivitätsliste formuliert, sondern es wurden Prinzipien und Kontrollkriterien aufgestellt. Es wird dabei zwischen die Anpassung fördernden Aktivitäten (z. B. Verwendung von hitzeresistentem Saatgut) und die Anpassung ermöglichenden Aktivitäten (z. B. Erforschung und Vermarktung von hitzeresistentem Saatgut) unterschieden.

In Kürze
Taxonomie richtet sich sowohl an Finanzmarktteilnehmer als auch an realwirtschaftliche Unternehmen.

Die Taxonomie in der praktischen Anwendung

Die Taxonomie richtet sich auf der einen Seite an Finanzmarktteilnehmer und soll ihnen Sicherheit geben, dass sie wirklich in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten investieren. Anbietern von Finanzprodukten in Europa soll der Spielraum genommen werden, Finanzprodukte als nachhaltig zu vermarkten, die es nach dem gemeinsamen Verständnis nicht sind (sogenanntes „Greenwashing“).

Illustration zum Thema "Sustainable Finance-Taxonomie"

© Malte Knaack

Auf der anderen Seite adressiert die Taxonomie auch realwirtschaftliche Unternehmen. Zunächst betrifft sie solche, die bereits heute verpflichtet sind, eine nichtfinanzielle Erklärung im Rahmen der sogenannten Non-Financial Reporting Directive (NFRD) abzugeben. Auf diese kommen 2022 zusätzliche Offenlegungsanforderungen für das Berichtsjahr 2021 zu. Dann werden Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern, die kapitalmarktorientiert oder als Banken und Versicherungen tätig sind, aufgefordert sein, die Taxonomie-Konformität in Bezug auf bestimmte Betriebsgrößen wie Umsatz und gegebenenfalls Investitionskosten offenzulegen. Dies soll für Investoren den Vorteil einer besseren Vergleichbarkeit der Nachhaltigkeitsbestrebungen bieten. Aus Unternehmenssicht ist zu vermeiden, dass die Anforderungen eine unangemessene Belastung darstellen und zu Wettbewerbsnachteilen führen.

Weitere Konsequenzen sind derzeit teilweise noch schwer einzuschätzen und dürften im weiteren Prozess von politischen Faktoren und Marktkräften beeinflusst werden. Hierbei sind insbesondere folgende Auswirkungen der Taxonomie im Blick zu behalten:

  • Der grundsätzlich angestrebte Wirkmechanismus der Taxonomie zielt vor allem auf unternehmerische Finanzierungsbedingungen ab: Weist ein Unternehmen glaubhaft nach, dass ein bestimmter Anteil seines Umsatzes oder seiner Investitionen taxonomiekonform ist, soll dies von Finanzmarktakteuren, die sich bestimmten Nachhaltigkeitszielen verschrieben haben, wahrgenommen werden und zu mehr Investitionen in das Unternehmen führen. Aufgrund eines größeren Kapitalangebots könnten nachhaltige Unternehmen von günstigeren Finanzierungsmöglichkeiten und einer Diversifizierung ihrer Finanzierungsquellen profitieren. Wie bedeutend dieser Finanzierungsmechanismus der Taxonomie sein wird, wird wesentlich von dem Finanzierungsumfeld und der allgemeinen Marktakzeptanz der Taxonomie abhängen.
  • Weiterhin sollen realwirtschaftliche Unternehmen, die beispielsweise Investitionen planen, durch die ein substanzieller Beitrag zu einem Umweltziel geleistet wird, künftig zur Finanzierung auf taxonomiekompatible Finanzprodukte zurückgreifen können. Dazu arbeitet die EU-Kommission an einheitlichen EU-Normen und Kennzeichen für nachhaltige Finanzprodukte, zum Beispiel einem EU-Green Bond-Standard.
  • Aus der Taxonomie können Konsequenzen für die Unternehmensreputation erwachsen, wenn beispielsweise entsprechende Offenlegungen zur Taxonomie-Konformität aus Sicht der Öffentlichkeit erklärungsbedürftig erscheinen. Umgekehrt sind Reputations- und Wettbewerbsvorteile denkbar, wenn ein Unternehmen glaubwürdig seine Bereitschaft signalisieren und belegen kann, einen Beitrag gegen den Klimawandel zu leisten.
  • Schließlich kann die öffentlich wahrgenommene Nachhaltigkeit von Produkten, Dienstleistungen oder Herstellungsprozessen (auf Basis der Taxonomie-Konformität) aus Konsumentensicht zu einem kaufentscheidenden Faktor werden. Produktdifferenzierungen würden dann nicht mehr nur über Preis, Qualität und Marketing erfolgen, sondern auch durch Nachhaltigkeit. Der gewinnbringende Verkauf umweltfreundlicherer Produkte scheitert in der Praxis bislang noch häufig an der Zahlungsbereitschaft der Konsumenten. Solange beispielsweise für emissionsarmen Stahl keine entsprechende Zahlungsbereitschaft besteht, lohnt sich die Herstellung aus Unternehmenssicht nicht. Jedoch gibt es durchaus positive Signale: Eine aktuelle Studie beziffert ein zusätzliches Umsatzpotenzial für das Geschäft mit mittelbar und unmittelbar klimaschonenden Technologien für den deutschen Maschinen- und Anlagebau von rund 10 Billionen Euro bis 2050. Damit kann die Taxonomie zu einem wesentlichen Treiber nachhaltiger Entwicklung im Sinne der Agenda 2030 und der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie werden.

Mögliche Taxonomie-Anwendung am Beispiel eines Zementherstellers

Ein Zementhersteller mit mehr als 500 Mitarbeitern wird verpflichtet, anzugeben, wie sich seine Wirtschaftsaktivitäten zur Taxonomie verhalten. Das Unternehmen stellt in seinen fünf Zementwerken ausschließlich Zement her, wobei jedes Werk die gleiche Menge produziert und jeweils 20 % zum Unternehmensumsatz beiträgt. Zwei der fünf Werke emittieren bei der Herstellung einer Tonne Zement im Durchschnitt weniger als 0,489 Tonnen CO2 und liegen damit unter dem im TEG-Bericht genannten Schwellenwert zum Umweltziel „Klimaschutz“ (Stand 2020). Das Unternehmen muss nun darlegen, dass diese beiden Zementwerke keinem der fünf anderen Umweltziele signifikant zuwiderlaufen (DNSH-Prinzip). Während das eine Werk keines der fünf anderen Umweltziele signifikant beeinträchtigt, liegt das andere Werk in einer Gegend mit prekärer Wassersituation, in der es im Sommer regelmäßig zu Wasserknappheit kommt. Damit schadet die Zementproduktion in diesem Werk dem dritten Umweltziel, dem nachhaltigen Umgang mit Wasserressourcen. Das Zementunternehmen hält zudem alle Mindestschutzmaßnahmen (z. B. OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen) für seine Mitarbeiter ein. Dementsprechend wäre die Produktion in einem der fünf Werke und damit 20 % des Unternehmensumsatzes taxonomiekonform.

Weiterhin befindet sich eines der Zementwerke desselben Unternehmens nahe einer Flussmündung, an der es zu Überschwemmungen kommen kann. Das Unternehmen möchte 1,5 Mio. Euro einsetzen, um den Hochwasserschutz und insbesondere das Entwässerungssystem des Werks zu verbessern. Damit trägt es zum zweiten Umweltziel „Anpassung an den Klimawandel“ bei. Bei der Installation des verbesserten Entwässerungssystems wird keines der fünf anderen Umweltziele signifikant verletzt. Das Unternehmen begibt hierzu Anleihen im Wert von 1,5 Mio. Euro und kann seine Investition in voller Höhe als taxonomiekonform ausweisen.

Wie geht es in Europa weiter?

Die Taxonomie-Verordnung wurde am 22. Juni im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Bis Dezember 2020 sollen detaillierte Rechtsakte vorliegen, welche dann in ersten Berichtsanforderungen nach der Taxonomie ab 2022 für das Berichtsjahr 2021 münden. Nicht nur Unternehmen, die verpflichtend von der Taxonomie betroffen sind, sollten sich mit Chancen und Herausforderungen des EU-weiten Klassifikationssystems beschäftigen. Auch für andere Unternehmen kann die Taxonomie Chancen eröffnen. Zu Nutzen und Vorgehensweise können beispielsweise Verbände mit Informationen weiterhelfen.

Auch die Politik muss in den kommenden Monaten eine Reihe von praktischen Fragen zur Taxonomie klären, z. B.:

  • Wie sollen Emissionen beim Nachhaltigkeitsziel „Klimaschutz“ konkret erfasst und auf welcher Produktionsstufe berichtet werden?
  • Wie soll eine Überprüfung der unternehmerischen Angaben zur Taxonomie-Konformität erfolgen?
  • Wie sollen inländische Investoren mit fehlenden Informationen bei außereuropäischen Engagements umgehen?
  • Wie groß soll der Anwendungsbereich der Taxonomie perspektivisch werden (beispielsweise weitere Ausweitung im Förderbankengeschäft oder bei staatlichen Ausgaben)?

Erfreulich ist in diesem Kontext die mittlerweile große Expertise von Unternehmen, Institutionen oder Gremien in Deutschland wie z. B. dem Sustainable Finance-Beirat der Bundesregierung. Diese wird dazu beitragen, komplexe Fragen rund um die Taxonomie fundiert zu beurteilen.

Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 spielt Sustainable Finance eine wichtige Rolle. Eine neu zu besetzende Sustainable Finance-Plattform, der auch realwirtschaftliche Vertreter angehören werden, soll auf europäischer Ebene der TEG nachfolgen, die Weiterentwicklung der Taxonomie eng begleiten und u. a. an der Ausarbeitung relevanter Schwellenwerte wie auch der Ausdehnung der Taxonomie auf die weiteren Umweltziele beteiligt sein. Für das vierte Quartal plant die EU-Kommission die Vorstellung einer erneuerten Sustainable Finance-Strategie. Hierbei wird es sich gewisssermaßen um eine Weiterentwicklung des „Aktionsplans zur Finanzierung von nachhaltigem Wachstum“ von 2018 handeln, dessen zentrale Bestandteile, wie u. a. die Taxonomie, bis dahin parallel weiter konkretisiert werden.

Wenn am Ende des Prozesses eine praktikable und weitverbreitete Taxonomie entsteht, könnte die EU zu einem Vorreiter und Standardsetzer im Bereich Sustainable Finance werden. Das kann dazu beitragen, den deutschen und den euro päischen Standort im weltweiten Wettbewerb zu stärken.

Kontakt:
Fabian Gräf & Dr. Jan Weidner
Referat: Geld, Kredit, Finanzmärkte
schlaglichter@bmwi.bund.de