Gemeinsam den Standort Deutschland stärken

Der Branchendialog des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) mit den Partnern der chemischen Industrie trägt Früchte. Im Herbst 2014 startete der Dialog mit einer umfassenden Online-Konsultation. Nunmehr wurde am 11. Mai 2016 der erste Monitoringbericht mit konkreten Ergebnissen und neuen gemeinsamen Handlungsfeldern unter der Leitung von Staatssekretär Matthias Machnig verabschiedet.

Das zentrale Ziel des im Dezember 2014 zwischen dem BMWi und der chemischen Industrie eingeleiteten Branchendialogs war es, den Standort Deutschland und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nachhaltig zu stärken. Die chemische Industrie gehört mit einem Umsatz von gut 190 Milliarden Euro (2015) zu den tragenden Säulen der deutschen Wirtschaft und ist mit rund 447.000 Beschäftigten ein bedeutender Arbeitgeber in Deutschland. Darüber hinaus hängen viele Arbeitsplätze bei Zulieferern und Dienstleistern von einer erfolgreichen chemischen Industrie ab. Neben den bekannten großen Unternehmen wird die Branche von zahlreichen mittelständischen Betrieben geprägt, die zusammen mehr als ein Viertel der Umsätze erwirtschaften und rund ein Drittel aller Arbeitsplätze stellen.

Die Aufgabenstellung zu Beginn des Dialogprozesses war es, die Expertise aller Beteiligten zu nutzen und gemeinsam aktuelle Prioritäten und geeignete Maßnahmen zur Unterstützung der chemischen Industrie in Deutschland zu erarbeiten. Partner im Dialogprozess sind Unternehmen, Betriebsräte, der Verband der chemischen Industrie e. V. (VCI) sowie die Sozialpartner Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) und der Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC). Der Branchendialog mit der chemischen Industrie war mehrstufig angelegt: (1) Breite Online-Konsultation, (2) Konferenz auf Fachebene, (3) Ministertreffen mit den Führungsebenen der Beteiligten und Verabschiedung einer gemeinsamen Vereinbarung sowie (4) Evaluierung der Maßnahmen und Follow-up. Das klare gemeinsame Fazit der chemischen Industrie und des BMWi nach Abschluss dieses Prozesses am 11. Mai 2016 lautet: "Wir machen weiter und verstetigen den Dialogprozess!"

Die Online-Konsultation - Wo drückt der Schuh?

Die Online-Konsultation startete am 1. Dezember 2014. Ziel hierbei war es, gemeinsam mit Branchenvertretern konkreten Handlungsbedarf zu identifizieren. Die meisten Beiträge kamen aus Unternehmen der chemischen Industrie; aber auch die Rückmeldungen von Gewerkschaften, Betriebsräten, Verbänden, Forschungseinrichtungen und Privatpersonen waren sehr aufschlussreich und flossen unmittelbar in die Auswertungsergebnisse ein. Neben einem standardisierten Fragenteil u. a. zur Unternehmensgröße, zu Beschäftigten- und Ausbildungszahlen sowie zur Spezialisierung im Chemiesektor bestand die Möglichkeit, zu aktuellen fachspezifischen Fragen, wie beispielsweise der Industrieakzeptanz, Stellung zu beziehen. Insgesamt haben 474 Personen an der Online-Konsultation der chemischen Industrie teilgenommen.

Wie sich die 343 Unternehmen der chemischen Industrie gliedern, die sich zur Frage der Unternehmensgröße geäußert haben, ist in Abbildung 2 dargestellt.
Die Befragten wurden gebeten, die Bereiche zu identifizieren, in denen sie sich eine aktive Unterstützung des Mittelstands durch die Bundesregierung wünschen würden. Hierzu zählten insbesondere die Aufgabenfelder Bürokratie- und Regulierungsaufwand, Energiekosten, Fachkräftemangel, gesetzlicher Rahmen und Personalkosten.

Der Workshop - Entwicklung konkreter Vorschläge zur Stärkung der chemischen Industrie

Der Einladung von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel zu einem Workshop im BMWi sind am 5. Februar 2015 rund 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gefolgt. Auf der Grundlage der Online-Konsultation wurden gemeinsam mit Fachleuten des BMWi konkrete Handlungsfelder bestimmt. Hiernach lag der prioritäre Bedarf der chemischen Industrie eindeutig in den Themenfeldern Beschäftigungs- und Personalpolitik, Energie- und Standortpolitik im internationalen Wettbewerb sowie im Bereich der Chemikalienregulierung. Die Diskussion zur Beschäftigungs- und Personalpolitik konzentrierte sich insbesondere auf die Fragen, wie Unternehmen Schulen und Universitäten unterstützen können, um junge Menschen für Technik zu begeistern, wie die duale Ausbildung und die Attraktivität der Chemieberufe weiter gesteigert werden können und in welchen Bereichen die größten inländischen Potenziale für eine höhere Qualifizierung liegen. Im Themenblock der Energie- und Standortpolitik im internationalen Wettbewerb ging es in erster Linie um Klimaschutz und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, um notwendigen und möglichen Reformbedarf, aber auch um die Frage, welche Maßnahmen im Kontext des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) für die chemische Industrie vorteilhaft sind bzw. sein können. Bei der Europäischen Chemikalienregulierung wünschten sich
die Unternehmen größere Kohärenz und hinterfragten gezielt die Unterstützungsmöglichkeiten des BMWi für Unternehmen bei der Umsetzung der REACH-Verordnung (Registrierung, Evaluierung und Zulassung von Chemikalien). Anschließend wurden alle Maßnahmenvorschläge sorgfältig geprüft, konsolidiert und in einem Maßnahmenpaket zusammengefasst.

Das Ministertreffen - "Gemeinsame Vereinbarung" verabschiedet

Die Ergebnisse der Online-Konsultation und des Workshops bildeten die Grundlage der Gemeinsamen Vereinbarung von BMWi, VCI, BAVC und IG BCE. Diese wurde anlässlich des Spitzengespräches unter Leitung von Bundesminister Gabriel am 3. März 2015 von allen Partnern unterzeichnet. Damit begann die Implementierungsphase. In der gemeinsamen Vereinbarung verpflichten sich BMWi, VCI, IG BCE und BAVC beispielsweise dazu

  • sich für eine gute Bildung in den Bereichen Schule, berufliche Qualifizierung und Hochschule zu engagieren,
  • sich für offene, faire Märkte und einen Ausbau und eine Stärkung international verbindlicher Regeln einzusetzen

    und

  • die Vereinfachung von Verfahren bei der Chemikalien regulierung REACH zu unterstützen.

Um es nicht bei Lippenbekenntnissen zu belassen, haben sich die Unterzeichner der gemeinsamen Vereinbarung einen konsequenten Arbeitsprozess zur Umsetzung auferlegt. Dieser beinhaltet ein Monitoring nach Ablauf eines Jahres, um die erreichten Fortschritte festzuhalten und bestehende Defizite und Handlungsnotwendigkeiten zu erkennen. Hierzu soll ein erneutes Spitzengespräch stattfinden.

Der Follow-up-Prozess - Systematische Umsetzung und Monitoring

Das erste Follow-up-Arbeitsgespräch "Beschäftigung und Fachkräfte" machte deutlich, dass eine gemeinsame Aktion zur Steigerung der Attraktivität der Ausbildungsberufe in der chemischen Industrie wünschenswert wäre. Obwohl sich alle Beteiligten bereits verstärkt in diesem Bereich engagierten, wurden vor dem Hintergrund stetig rückläufiger Ausbildungszahlen weitere gemeinsame öffentlichkeitswirksame Maßnahmen diskutiert, um insbesondere das Image der Ausbildungsberufe in der chemischen Industrie zu stärken. Dabei wurden auch Überlegungen angestellt, wie in der Schule bereits frühzeitig die Basis für naturwissenschaftliches Interesse gelegt werden könnte. Positive Akzente in Richtung "Industrieakzeptanz" setzen beispielsweiseschon der Tarifvertrag "Zukunft durch Ausbildung", Fortbildungsseminare, Ausbildungswettbewerbe sowie Maßnahmen der Berufsorientierung (z. B. Joblinge). Die demografische Entwicklung bedingt aber auch die Diskussion neuer Arbeitszeitmodelle (Teilzeittarifvertrag, Demografie-Tarifvertrag, Teilrente etc.), mit dem Ziel, ältere Menschen über das Rentenalter hinaus aktiv im Beruf zu halten.

Das zweite Follow-up-Arbeitsgespräch fand zum Thema "Innovationspolitik" statt. Dabei lieferte die vom VCI im September 2015 veröffentlichte Innovationsstudie "Schneller in den Markt" die Diskussionsgrundlage. Die Studie beleuchtet einzelne Rahmenbedingungen für die Investitionstätigkeit und -fähigkeit in Deutschland und identifiziert unternehmensinterne und -externe Innovationshemmnisse, die sich mit den im Arbeitsgespräch ermittelten Handlungsfeldern deckten. Im Verlauf des Gesprächs wurden konkrete Handlungsoptionen zur Beseitigung dieser Hemmnisse sowie Verbesserungspotenziale für externe Rahmenbedingungen in den Feldern Regulierung und Bürokratie, gesellschaftliche Akzeptanz, Fachkräfte, Kooperationen und Innovationsumfeld sowie Finanzierungs- und Förderungsmöglichkeiten aufgezeigt. Dem Ziel einer stärkeren Innovationstätigkeit in Deutschland tragen bereits zahlreiche Aktivitäten im Bereich der Hightech-Strategie der Bundesregierung und die Innovationsförderung des BMWi Rechnung. Auch das Thema der Forschungs- und Entwicklungsförderung wurde von allen Beteiligten kontrovers diskutiert. Wenngleich die steuerliche Förderung von Ausgaben für Forschung und Entwicklung derzeit nicht auf der bundespolitischen Agenda steht, beobachten alle Beteiligten die Entwicklungen innerhalb der EU aufmerksam.

Auch das dritte Follow-up-Arbeitsgespräch zum Thema "Regulierung im Chemikalienrecht" schloss mit konkreten operativen Maßnahmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und zielte bereits auf neue Vorhaben. So führen die Anforderungen für Stoffe, die der REACH-Verordnung unterliegen, teilweise zu umfangreichen Registrierungspflichten von identischen, aber auf dem Markt unterschiedlich eingestuften Stoffen. Daher plädieren BMWi, VCI, IG BCE und BAVC für eine vollständige Harmonisierung der Stoffliste und werden sich im Anschluss an die Registrierungsphase 2018 gegenüber der EU-Kommission verstärkt hierfür einsetzen. Das gemeinsame Projekt mehrerer Ministerien und Bundesbehörden und des Normenkontrollrats mit dem VCI zu "Schwachstellenanalyse der Registrierungspflichten durch die europäische Chemikalienverordnung REACH" hat zu zahlreichen Vorschlägen und Verbesserungen geführt. Dieser erfolgreiche Prozess soll in Form einer Neuauflage unter der Beteiligung von IG BCE und BMWi fortgesetzt werden. In den Kontext dieser aktuellen europäischen Diskussion zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung "European Commission's Regulatory Fitness and Performance Programme" (REFIT) ist auch die Chemikalienregulierung zu REACH eingebunden.

Abschließend fand ein viertes Follow-up-Arbeitsgespräch zum Themenkomplex "Energie- und Klimapolitik" statt. Dabei wurden insbesondere die Auswirkungen des neuen Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetzes (KWKG) auf die chemische Industrie in Deutschland diskutiert. Nach dem KWKG sollen grundsätzlich nur noch Anlagen der öffentlichen Versorgung gefördert werden. Industrielle KWK-Anlagen sollen jedoch auch dann weiterhin eine Förderung erhalten, wenn sie zu energieintensiven Unternehmen gehören. Insgesamt ist die Auflösung der Komplexität der Energiegesetze ein Kernanliegen der chemischen Industrie. Diese Komplexität sei ein maßgebliches Hemmnis für langfristige strategische Unternehmensentscheidungen. Industrie und Politik seien daher gefordert, eine gemeinsame Perspektive zu erarbeiten. Ein Brainstorming in einem informellen Kreis ("Think Tank") könne Input zur "Energiepolitischen Strategie nach 2020" geben. Ferner wurde berichtet, dass Verbände, Unternehmen, Kammern und Kommunen vereinbarungsgemäß mit dem Aufbau von Energieeffizienznetzwerken begonnen haben. In der Chemieindustrie sind momentan mehrere Netzwerke im Entstehen, weitere sind bereits in Planung.

Spitzengespräch unter Leitung von Staatssekretär Machnig

Unter der Leitung von Staatssekretär Machnig haben die Spitzenorganisationen der chemischen Industrie am 11. Mai 2016 den ersten Monitoringbericht verabschiedet und eine positive Bilanz des Branchendialogs gezogen. Alle waren sich dabei einig, dass sich das Dialogformat zwischen Politik, Gewerkschaften und Unternehmen bewährt hat. Der 15-monatige Prozess hat gezeigt, dass eine gemeinsame und effektive Zusammenarbeit für mehr internationale Wettbewerbsfähigkeit möglich ist. Aus Sicht der Beteiligten hat sich der Branchendialog auch deshalb gelohnt, weil vereinbarungsgemäß nicht der Austausch von Positionen oder Fakten, sondern das Definieren von Aufgaben und konkreten Projekten im Vordergrund stand. Aufgrund der guten Erfahrungen soll der Branchendialog mit der chemischen Industrie verstetigt werden. Bis zu vier Fachgespräche im Jahr sind vereinbart, deren Ergebnisse in einem jährlichen Monitoringbericht erfasst werden sollen. Es wurden zudem neue Handlungsfelder vereinbart. So soll die fortschreitende Digitalisierung in der chemischen Industrie unter wirtschafts- und industriepolitischen sowie beschäftigungs- und bildungspolitischen Gesichtspunkten bewertet werden. Dabei haben sich die Partner vorgenommen, insbesondere die Konsequenzen für das Thema Fachkräftesicherung herauszuarbeiten. Im Handlungsfeld Innovation hat man sich darauf verständigt, die Abschätzung von Gesetzesfolgen und die Ausgestaltung von Forschungsprogrammen auf ihre innovationsfördernde Wirkung zu prüfen. Weitere Aspekte sind die Mittelstandsförderung und die Akzeptanz industrieller Tätigkeit. Die Ergebnisse der Fachgespräche werden auch in den Arbeitsgruppen des Bündnisses "Zukunft der Industrie" Berücksichtigung finden.

Staatssekretär Machnig fasste den Mehrwert des Branchendialoges mit folgenden Worten zusammen: "Kommunikation ist das Schlüsselelement aller Dinge! Diesen Prozess wollen wir fortsetzen."

Kontakt: Brigitte Irsfeld
Referat: Chemische und Pharmazeutische Industrie